Geht der Westen unter, Daniel Marwecki?

Shownotes

Im Westen macht sich Endzeitstimmung breit: Ein Rechtsradikaler im weißen Haus baut jeden Tag ein bisschen weiter die US-Demokratie ab, die Allianz zwischen Europa und seinen Bündnispartnern gerät ins Wanken, die deutsche Wirtschaft stagniert – und das Erstarken rechtsextremer Kräfte scheint unaufhaltbar.

Die alte Weltordnung bröckelt: Der Westen verliert seine Vormachtstellug und China nimmt eine immer dominantere Position ein. Erleben wir gerade den Abstieg oder gar Untergang des Westens?

Darüber spricht Pauline Jäckels mit Politikwissenschaftler Daniel Marwecki. Es geht um die Frage, wie der Westen so mächtig werden konnte, warum er jetzt an Einfluss verliert - und welche Rolle Europa in der Welt nach dem Westen noch spielen kann. 

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Shownotes:

Daniel Marwecki. Die Welt nach dem Westen Oktober 2025, C.H. Links Verlag

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Intro: Weltunordnung. Der internationale Politik-Podcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Intro: Im Weißen Haus sitzt ein Rechtsradikaler, der jeden Tag ein bisschen weiter

Intro: die US-Demokratie abbaut.

Intro: Die Allianz zwischen Europa und der USA gerät ins Wanken, auch wenn Politiker

Intro: hier sich enorm daran festklammern.

Intro: In Deutschland stagniert die Wirtschaft, das Leben wird teurer,

Intro: das Erstarken rechter bzw.

Intro: rechtsextremer Kräfte scheint auch hier unaufhaltbar. Der Krieg in der Ukraine

Intro: dauert weiter an und alle reden die ganze Zeit nur noch über Aufrüstung.

Intro: Irgendwie herrscht hier im Westen gerade so eine Art Untergangsstimmung.

Intro: Dass wir auf eine bessere Zukunft hin steuern, kann man sich eigentlich kaum noch vorstellen.

Intro: Erleben wir gerade den Abstieg oder gar Untergang des Westens?

Intro: Und welche neue Weltordnung kommt da auf uns zu, wenn zur gleichen Zeit China

Intro: eine immer dominantere Position in der Welt einnimmt?

Intro: Ich bin Pauline Jekylls, freie Journalistin und Tats-Redakteurin.

Intro: In dieser Folge spreche ich mit dem Politikwissenschaftler Daniel Mawetzki über

Intro: sein neues Buch, Die Welt nach dem Westen, in dem er sich genau über diese Fragen Gedanken macht.

Intro: Also darüber, wie sich die Welt eigentlich gerade neu formiert,

Intro: Wie der Westen überhaupt erst zur dominanten Weltmacht geworden ist und warum

Intro: er jetzt zwar vielleicht nicht ganz untergeht, aber eben seine Machtposition zu verlieren scheint.

Intro: Und darüber, welche Rolle Europa und Deutschland in diesem neuen Machtgefüge

Intro: einnehmen können oder einnehmen sollten.

Intro: Daniel lehrt internationale Beziehungen an der University of Hongkong.

Intro: Deshalb freue ich mich sehr auf das Gespräch mit Daniel und dass ihr dabei zuhört.

Intro: Hallo Daniel, schön, dass du da bist.

Angela Wigger: Hallo Pauline, danke für die Einladung.

Intro: Du lebst und lehrst seit einigen Jahren in Hongkong. Wie hat deine Zeit dort

Intro: deinen Blick auf Deutschland und Europa verändert?

Felix Jaitner: Ich bin auch viel in Deutschland. Ich reise quasi zwischen Berlin und Hongkong hin und her.

Felix Jaitner: Das war sehr instruktiv die letzten Jahre über.

Felix Jaitner: Das ist eine große Frage, auf die mir sehr viel einfällt.

Felix Jaitner: Ich fange vielleicht an mit einer

Felix Jaitner: kleinen Geschichte. Ich habe in Hongkong angefangen während der Pandemie.

Angela Wigger: Also Mitte 2020. Da sind die Proteste in Hongkong gerade ausgelaufen bzw.

Felix Jaitner: Wurden beendet.

Angela Wigger: Und dann bin ich dort angekommen, inmitten eines Lockdowns eigentlich.

Felix Jaitner: Dann hat ja BioNTech den Impfstoff entwickelt und der wurde global verteilt.

Felix Jaitner: Ich war dann in Hongkong und mich erreichte dieser Impfstoff vor meiner Mutter

Felix Jaitner: und meiner Großmutter in Deutschland.

Angela Wigger: Wie kann es eigentlich sein, dass ich in Hongkong jetzt diesen Impfstoff zuerst verabreicht kriege,

Felix Jaitner: Wenn er eigentlich in Mainz hergestellt wird? Also was passiert hier?

Felix Jaitner: Sehr kleine Geschichte.

Angela Wigger: Aber ich finde insofern instruktiv,

Felix Jaitner: Weil es zeigt, dass Regierungsführung, Organisation, Bürokratie anderswo vielleicht

Felix Jaitner: besser funktionieren als in Deutschland, was ja auch für andere Bereiche und Länder Asiens gilt.

Angela Wigger: Also schon fast so ein Boomer-Beispiel.

Intro: Ich glaube, das ist ganz interessant, weil dieser Gedanke bei uns ja inzwischen

Intro: schon noch angekommen ist.

Intro: Also es gibt ja diese deutsche Arroganz, diese Annahme, bei uns ist alles pünktlich,

Intro: die deutsche Technologie, hier funktioniert alles.

Intro: Ich glaube, inzwischen ist es hier dieses Gefühl angekommen,

Intro: wir sind nicht die Weltspitze, von der wir lange behauptet haben, dass wir sie sind.

Intro: Interessant fand ich da den Moment während des Wahlkampfes, als dann Friedrich

Intro: Merz quasi Wahlkampf gemacht hat mit dem Slogan Deutschland wieder zurück an die Weltspitze.

Intro: Klar, das ist ein sehr konservativer bis rechter Slogan, der erinnert an Make America Great Again,

Intro: aber da steckt ja schon drin, dass es hier so dieses Gefühl gibt,

Intro: Deutschland ist nicht an der Weltspitze, obwohl wir das ja so lange gedacht hatten.

Angela Wigger: Absolut, du hast auch gerade Trump erwähnt diese ganze Magernummer Make America

Angela Wigger: Great Again ist eine Reaktion auf den gefühlten und reellen Abstieg des Westens

Angela Wigger: und Aufstieg Asiens insbesondere

Felix Jaitner: China die größere Frage ist aktuell eigentlich.

Angela Wigger: Dahinter was der Westen der Welt anbieten kann und die Antwort darauf

Felix Jaitner: Ist anscheinend relativ wenig also wenn wir uns.

Angela Wigger: Völkerrecht angucken Menschenrechte

Felix Jaitner: Aktuell sehr wenig.

Angela Wigger: Wenn wir uns Entwicklung angucken,

Felix Jaitner: Die gesamte westliche Entwicklungspolitik hat eigentlich sehr wenig Länder reich

Felix Jaitner: gemacht, eigentlich keines.

Felix Jaitner: Also die Entwicklungspolitik ist eine Chimäre.

Angela Wigger: Was haben wir noch?

Felix Jaitner: Technologie, Regierungsführung, Klimawandel, riesiges Beispiel.

Angela Wigger: Die Klimafrage wird nicht im Westen entschieden werden, die wird in Asien entschieden werden.

Felix Jaitner: Also wenn ich durch alle Bereiche durchgehe, die internationale Politik bestimmen,

Felix Jaitner: dann fällt mir aktuell keiner ein.

Angela Wigger: In dem der

Felix Jaitner: Westen irgendwie eine Vorreiterrolle spielt. Also weder wirklich materiell noch

Felix Jaitner: ideell symbolisch, außer vielleicht, wenn man sich die amerikanische Militärmacht anschaut.

Angela Wigger: Die natürlich die mit Abstand

Felix Jaitner: Global größte ist. Also bis auf die Gewaltfähigkeit fällt mir aktuell einfach wenig ein.

Intro: Wir sind ja eigentlich schon genau bei unserem Thema. Du schreibst,

Intro: eine neue Welt trinkt schemenhaft aus dem Nebel und wir können tastend nach ihr greifen.

Intro: Das beschreibt, glaube ich, sehr gut dieses Gefühl, über das wir jetzt schon

Intro: gesprochen haben und das sehr viele Menschen gerade haben, nämlich,

Intro: dass sich die Machtverhältnisse in der Welt gerade fundamental ändern.

Intro: In dem Titel deines Buches, die Welt nach dem Westen, stecken ja zwei Ebenen.

Intro: Auf der einen Seite prophezeist du, wie ja viele andere Analysten auch,

Intro: eine Welt, die nicht mehr vom Westen dominiert wird.

Intro: Und gleichzeitig sagst du aber, ganz egal, wie diese Welt aussehen wird,

Intro: es ist eine Welt, die durch die Jahrhunderte andauernde westliche Dominanz geprägt

Intro: ist, also ein Abbild des Westens ist.

Intro: Was verstehst du eigentlich unter dem Wort Westen? Du steigst ja eigentlich

Intro: ein, indem du sagst, den Westen gibt es nicht, genauso wenig wie es den Osten gibt.

Intro: Und trotzdem benutzt du dieses Wort natürlich immer wieder.

Felix Jaitner: Also andererseits muss man diese Großbegriffe verwenden, weil man sonst immer

Felix Jaitner: beschreiben müsste, wem man das genau meint.

Angela Wigger: Und dann muss man ganz lange Absätze schreiben,

Felix Jaitner: Wo man anfangen kann, zum Thema zu kommen.

Angela Wigger: Aber das stimmt, der Begriff Westen ist natürlich fluide, hat aber einen harten Kern.

Felix Jaitner: Ja,

Felix Jaitner: also als Großbritannien und Frankreich im 19.

Angela Wigger: Jahrhundert die Welt dominierten,

Felix Jaitner: Da war Osteuropa oder war Süditalien genauso agrarisch und genauso arm wie der

Felix Jaitner: Großteil der nicht westlichen Welt. Ja, also der Westen hat sich erweitert in dem, was er war.

Angela Wigger: Auf das, was er heute ist, da würde ich sagen,

Felix Jaitner: Es ist die NATO.

Angela Wigger: Es ist die EU, es sind die siedlungskolonialen europäischen Gründungen Neuseeland

Angela Wigger: und Australien. Und jetzt wird es interessant,

Felix Jaitner: Wenn wir uns die Grenzfälle anschauen, zum Beispiel Türkei, Mitglied der NATO.

Angela Wigger: Nicht Mitglied der EU.

Felix Jaitner: Ist Mitglied der NATO aus Gründen des Kalten Krieges.

Angela Wigger: Ist nicht Teil der EU,

Felix Jaitner: Auch aus zivilisatorischen, historischen Gründen.

Angela Wigger: Islam versus Christentum, die Osmanen gegen Europa, das spielt da auch mit rein.

Felix Jaitner: Also das ist da ambivalent.

Angela Wigger: Und Japan ist so ein bisschen ähnlich gelagert, sicherheitspolitisch,

Angela Wigger: ökonomisch, auf jeden Fall Teil des Westens.

Angela Wigger: Aber ich glaube, die meisten

Felix Jaitner: Menschen in Japan verstehen sich zuerst einmal als japanisch.

Felix Jaitner: Also damit muss man auch umgehen können.

Intro: Und es gibt noch eine zweite Begriffsunterscheidung globaler Norden,

Intro: globaler Süden, der ja sehr en vogue gekommen ist im letzten Jahrzehnt,

Intro: der eigentlich so ein bisschen aus einem linken Versuch herauskommt,

Intro: quasi nicht zu sagen, erste Welt, zweite Welt, dritte Welt, sondern andere Unterscheidungen

Intro: zu benutzen, andere Begriffe zu benutzen.

Intro: Was hältst du von diesem Begriff globaler Süden?

Felix Jaitner: Du hast gerade gesagt, das ist ein linker Begriff. Ich weiß gar nicht,

Felix Jaitner: wie links er ist in dem emanzipatorischen Sinne.

Felix Jaitner: Es gibt auf jeden Fall diese linke Sprachhöflichkeit.

Angela Wigger: Man will jetzt niemanden diskriminieren, weil man sagt, du bist nur in der dritten Welt,

Felix Jaitner: Ich bin in der ersten. Aber wenn man sich anschaut, was mit dritte Welt gemeint

Felix Jaitner: ist, es geht auf die Räder vom dritten Stand zurück im vorrevolutionären Frankreich.

Felix Jaitner: Ja, also den Begriff hat auch ein Franzose geprägt, 1952, den Begriff der dritten Welt.

Felix Jaitner: Und dieser Begriff sagt eigentlich.

Angela Wigger: Dass man was werden will und auch was haben will. Also wer in der dritten Welt

Angela Wigger: ist, will in die erste. Und das heißt, man holt sich vielleicht

Felix Jaitner: Auch was zurück.

Angela Wigger: Das heißt, der Begriff dritte Welt ist eigentlich in meinen Augen historisch

Angela Wigger: radikaler als der des globalen Südens, weil ja auch in den 50ern,

Felix Jaitner: 60ern noch ganz andere Entwicklungswege und Modelle propagiert worden sind.

Angela Wigger: Das war auch die Zeit der Bandung,

Felix Jaitner: Konferenz, des Non-Aligned Movement und so weiter.

Angela Wigger: Also da würde ich sozusagen vorsichtig sein bei der Frage,

Felix Jaitner: Wie emanzipatorisch der Begriff globaler Süden eigentlich ist.

Angela Wigger: Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt, was hat eigentlich ein Land wie China

Angela Wigger: mit Nigeria, mit Brasilien zu tun?

Felix Jaitner: Eigentlich nur, dass alle diese Länder oder das, was diese Länder vorher waren,

Felix Jaitner: sich gegenüber Europa zu verhalten hatten und von Europa subordiniert worden sind.

Angela Wigger: Spätestens im 19.

Felix Jaitner: Jahrhundert.

Angela Wigger: Das ist die historische Erfahrung,

Felix Jaitner: Diese Länder teilen.

Angela Wigger: Im Gegenzug teilt der Westen die historische Erfahrung,

Felix Jaitner: Diese Länder dominiert zu haben.

Angela Wigger: Und da ist das politische Erbe zwischen Norden und Süden, dass es eigentlich

Angela Wigger: um die Überwindung dieser Trennung geht, die mit dem europäischen Imperialismus

Angela Wigger: in die Welt gekommen ist.

Angela Wigger: Und da ergibt dieses Nord-Süd-Ding wieder Sinn,

Felix Jaitner: Wenn man sich diese Geschichte vergegenwärtigt.

Angela Wigger: Genau, aber du hast recht,

Felix Jaitner: Der Begriff ist sehr populär geworden. Mittlerweile steht er auch im Koalitionsvertrag

Felix Jaitner: oder in deutschen Fachjournalen zur internationalen Politik.

Angela Wigger: Also der Begriff ist sozusagen jetzt gang und gäbe.

Intro: Im Mainstream angekommen.

Felix Jaitner: Genau, was dafür spricht, ihn sozusagen wieder abzulegen und neuere zu finden.

Intro: Hast du schon einen neuen Begriff? Hast du schon einen Vorschlag, was man sagen könnte?

Felix Jaitner: Nein, ich glaube, was der Begriff verschleiert ist, dass es ja riesige Divergenzen

Felix Jaitner: auch im sogenannten globalen Süden gibt.

Felix Jaitner: Also wir reden jetzt von Westen und aller anderen und vom Aufstieg der nicht

Felix Jaitner: westlichen Welt, von der Welt nach dem Westen, das ist in meinem Titel.

Angela Wigger: Aber eigentlich ist ein großer Teil der nicht westlichen Welt noch sehr arm.

Angela Wigger: Und wenn man sich die Weltwirtschaft anschaut,

Felix Jaitner: Ist sie eigentlich noch in einem erstaunlichen.

Angela Wigger: Maße von der Kolonialzeit geprägt.

Felix Jaitner: Kann man ganz simpel so sehen oder so erfragen.

Angela Wigger: Welches Land exportiert Rohstoffe, Primärprodukte, welches Land exportiert Industriegüter

Angela Wigger: oder Hochleistungsservices.

Angela Wigger: Und wenn man sich das anschaut, dann ist die Welt

Felix Jaitner: Eigentlich noch recht stark.

Angela Wigger: Unterteilt in eine Peripherie und ein Zentrum. Es ist aber

Felix Jaitner: Weniger leicht geworden zu bestimmen, wer das Zentrum ist.

Intro: Bevor wir zu dieser Welt nach dem Westen kommen, wann begann eigentlich die

Intro: westliche Dominanz und wie ist der Westen an die Vormachtstellung in der Welt

Intro: gekommen, die er ja so lange hatte?

Felix Jaitner: Das ist immer Thema der Vorlesung der ersten Woche in manchen meinen Kursen,

Felix Jaitner: weil das eine Großfrage ist der Globalgeschichte.

Felix Jaitner: Wie wurde eigentlich der Westen dominant?

Angela Wigger: Ich verlasse mich da auf den altgedienten Eric Hobsbawm, einer der größten Historiker

Angela Wigger: des letzten Jahrhunderts,

Felix Jaitner: Der in seiner Trilogie des 19.

Angela Wigger: Jahrhunderts den Aufstieg des Westens mitbeschrieben hat.

Felix Jaitner: Er war sehr sozusagen auch westzentrisch und Hobsbawm redete von der doppelten Revolution.

Angela Wigger: Und damit meint er die industrielle Revolution,

Felix Jaitner: Die es erst in England stattfängt und.

Angela Wigger: Die französische Revolution, die so etwas wie den Nationalstaat schafft, wo der Staat

Felix Jaitner: Für die Gesellschaft da sein muss in der Idee und das Volk aber auch für den

Felix Jaitner: Staat. Ja, und dieser Staat ist bürokratisch-weberianisch organisiert.

Angela Wigger: Und dieses Paket von industriellem Kapitalismus plus moderner Nationalstaat,

Angela Wigger: der extrem schlagfähig ist,

Felix Jaitner: Für sein Militär viel ausgibt.

Angela Wigger: Also dieser gewaltfähige, gewaltbereite Staat ist das Instrument,

Angela Wigger: mit dem sich der Westen die Welt unterwirft.

Felix Jaitner: Und gegen dieses Instrument hat niemand eine Chance. Und da steckt auch die

Felix Jaitner: Doppelbedeutung drin des Wörtchens nach im Titel von dem Buch.

Felix Jaitner: Eigentlich geht alles um dieses nach.

Angela Wigger: Ja, wir sind in einer Zeit nach dem Westen angekommen, aber sie prägt sich auch

Angela Wigger: nach Vorbild des Westens aus,

Felix Jaitner: Denn wer erfolgreich in einer westlich dominierten Welt aufsteigen will.

Angela Wigger: Muss diese Rezepte Nationalstaat,

Felix Jaitner: Kapitalismus, Industrie, militärische Schlagfähigkeit erinnern.

Felix Jaitner: in irgendeinem Maße übernehmen.

Angela Wigger: Um sie dann

Felix Jaitner: Wiederum gegen den Westen zu richten oder aber irgendwie aufsteigen zu können.

Felix Jaitner: Genau, das meine ich mit Vorbild.

Intro: Bevor es den modernen globalen Kapitalismus gibt, den wir heute kennen,

Intro: gab es ja erst einmal die Kolonialzeit.

Intro: Also das war ja quasi der erste Weg, wie dann dieses neue starke Europa,

Intro: das nationalstaatliche Europa und das industrialisierte Europa es geschafft

Intro: hat, andere Teile der Welt zu unterwerfen.

Felix Jaitner: Das ist richtig. Also man kann ja den globalen Kapitalismus in verschiedene Phasen einteilen.

Felix Jaitner: Und hier kommen wir eigentlich wieder auf diese Definitionsfrage globaler Süden

Felix Jaitner: zurück, die ja erst dann Sinn macht.

Angela Wigger: Durch diese Imperialzeit, die die Welt zweiteilt in Europa, den Westen und alle,

Angela Wigger: die sich Europa unterworfen hat.

Felix Jaitner: Oder die, auch wenn sie nicht kolonisiert sind, wie zum Beispiel das heutige Thailand.

Angela Wigger: Sich trotzdem gegenüber Europa, dem Westen, irgendwie verhalten müssen.

Angela Wigger: Und die Grundfrage ist eigentlich,

Felix Jaitner: Wie entkommt man dieser Position, die man geerbt hat.

Angela Wigger: Nach der Kolonialzeit?

Intro: Wir hatten ja dann eine Phase von antikolonialen Bewegungen,

Intro: die sukzessive das Ende der klassischen Kolonien eingeführt hat.

Intro: Wie schafft es der Westen aber dann trotzdem, seine Vormachstellung zu behalten?

Intro: Also es gibt dann viele WissenschaftlerInnen, gerade aus der postkolonialen

Intro: Theorie, die sagen, der Kolonialismus hat in dem Sinne nicht geendet,

Intro: sondern er wurde einfach umgewandelt in ein neokoloniales Gebilde.

Intro: Wie hat der Westen es geschafft, trotz dieser Dekolonialisierungsmomente seine

Intro: Vormachtstellung aufrechtzuerhalten?

Angela Wigger: Du sprichst Carmen Kuma an,

Felix Jaitner: Das Konzept des Neokolonialismus. Der Kolonialismus wechselt nur sein Gesicht,

Felix Jaitner: aber führt sich weiter fort.

Angela Wigger: An dem Konzept ist etwas dran,

Felix Jaitner: Aber es ist nicht alles dran.

Angela Wigger: Wenn man sich den Kongo anschaut,

Felix Jaitner: Das ist ein Paradebeispiel, der Kongo wird unabhängig.

Angela Wigger: Quote unquote.

Felix Jaitner: Die Uranium-Minen sind aber noch.

Angela Wigger: In den Händen

Felix Jaitner: Einer belgischen Firma und Lumumba wird gestürzt von Belgien und der CIA und so weiter.

Angela Wigger: Das sind so diese Paradebeispiele von neokolonialem Zugriff.

Felix Jaitner: Aber ich glaube, die Frage ist ein bisschen größer. Es ist auch keine reine Frage von böser Westen.

Angela Wigger: Und die guten anderen.

Felix Jaitner: Es ist einfach sehr, sehr schwer.

Angela Wigger: Es ist unglaublich schwer,

Felix Jaitner: Ein postkolonialer Staat zu sein.

Angela Wigger: Man hat unglaublich viele Aufgaben zu bewältigen.

Felix Jaitner: Man muss Grenzen sichern.

Angela Wigger: Eine Nation herausbilden, wirtschaftlich aufsteigen, den ganzen Laden irgendwie zusammenhalten.

Angela Wigger: Es ist einfach eine Mammutaufgabe.

Felix Jaitner: Sozusagen, wenn man sich die vor Augen führt, ist es gar nicht so überraschend,

Felix Jaitner: warum so wenige tatsächlich aufgestiegen sind.

Intro: Insbesondere wirtschaftlich ist natürlich die Frage, die koloniale Wirtschaftsordnung

Intro: war ja im Prinzip darauf ausgelegt, die Staaten, die kolonisiert sind,

Intro: geben Ressourcen und haben dann eben teilweise eine sehr eingeschränkte Wirtschaft

Intro: gehabt, die sich auf einen ganz bestimmten Wirtschaftszweig begrenzt haben,

Intro: der diese Ressourcen zur Verfügung stellt.

Felix Jaitner: Ja, also diese Nicht-Diversifikation der Wirtschaft ist eigentlich der Indikator

Felix Jaitner: für die koloniale Prägung des Wirtschaftssystems bis heute.

Felix Jaitner: Ich will aber trotzdem die erste Frage noch einmal kurz umkehren und nicht fragen,

Felix Jaitner: warum haben so viele es nicht geschafft, sondern ich möchte fragen,

Felix Jaitner: wer hat es geschafft und warum.

Angela Wigger: Und wenn man sich diese Frage stellt,

Felix Jaitner: Natürlich gibt es viele sozusagen gemischte Fälle.

Angela Wigger: Aber die klaren Erfolgsfälle befinden sich da,

Felix Jaitner: Wo ich gerade bin, nämlich in Ostasien.

Angela Wigger: Und das sind Länder wie Südkorea, Taiwan, Hongkong, bevor es zurückgegeben wurde,

Angela Wigger: ist 97, das kleine Singapur, Japan natürlich.

Angela Wigger: Und das waren alles Länder, die im Kalten Krieg auf der

Felix Jaitner: Westlichen Seite standen.

Angela Wigger: Das heißt, denen hat man gewisse protektionistische Maßnahmen durchaus gegönnt.

Felix Jaitner: Da kommen auch andere Faktoren hinzu. Es gibt eine große Debatte um den Aufstieg

Felix Jaitner: aus Asiens, die lässt sich nicht auf einzelne Faktoren runterbrechen.

Angela Wigger: Aber es ist doch interessant, dass es nur hier wirklich mit diesem durchschlagenden Erfolg gelungen ist.

Felix Jaitner: Und da kann man natürlich feststellen, dass diese Länder die Globalisierung

Felix Jaitner: oder den globalen Kapitalismus für sich einfach sehr, sehr gut ausnutzen konnten. Indem sie sich.

Angela Wigger: Selektiv in den Weltmarkt integriert haben durch Schutzzölle am Anfang,

Angela Wigger: dann durch die Fertigung kompetitiver Produkte und dann ist man auf den Weltmarkt

Angela Wigger: gegangen. Also wie eigentlich

Felix Jaitner: Deutschland das auch gemacht hat im 19. Jahrhundert.

Angela Wigger: Das ist recht interessant. Das beschreibt der südkoreanische Ökonom Ha Jun Chang sehr gut,

Felix Jaitner: Aber auch andere. Die erfolgreichen Aufsteiger Ostasiens haben eigentlich relativ exakt.

Angela Wigger: Die Entwicklungsrezepte kopiert, die auch im Westen angewandt worden sind.

Intro: Vielleicht kannst du noch einmal kurz erklären, was ist eigentlich der globale

Intro: Kapitalismus und wie funktioniert er, um dann zu verstehen, wie haben sich dann

Intro: bestimmte Länder innerhalb dieses Systems geschafft zu bewähren?

Felix Jaitner: Die große Frage ist eigentlich eine ganz alte und einfache, die aber sehr schwer

Felix Jaitner: zu beantworten ist. Und das ist die Frage der Industrialisierung.

Angela Wigger: Also wenn man sich anschaut, was Akteure wie NERU gesagt haben oder Deng Xiaoping

Angela Wigger: oder sehr viel früher meinetwegen auch Stalin,

Angela Wigger: es ging allen Ländern an der Peripherie erstmal darum, sich zu industrialisieren und das sehr schnell.

Angela Wigger: Also was der Westen in 150 Jahren geschafft hat,

Felix Jaitner: Müsste man jetzt sehr schnell schaffen.

Angela Wigger: Sagt Nero nach Unabhängigkeit Indiens. Das ist aber unglaublich schwer,

Angela Wigger: weil es ein riesiges Problem ist,

Felix Jaitner: Sich in einem Freihandelssystem aufzurichten, wenn man nicht wettbewerbsfähig ist.

Angela Wigger: Also Freihandel...

Angela Wigger: ist eine Methode, um Länder eigentlich klein zu halten.

Angela Wigger: Wenn wir beide einen Freihandel machen, aber deine Produkte sind viel besser,

Angela Wigger: werde ich niemals mit dir in den Wettbewerb treten können.

Felix Jaitner: Deswegen sind diese Rezepte von Zollschranken und Subventionen usw.

Angela Wigger: Überall mit Teil bei jedem erfolgreichen Aufstieg.

Felix Jaitner: Bei den Tigerstaaten, genauso wie bei China, genauso wie früher bei Deutschland.

Angela Wigger: Und dieses Rezept bleibt bis heute wahrscheinlich das Erfolgreise.

Intro: Das heißt, der Westen hatte diesen Vorsprung der Industrialisierung,

Intro: konnte sehr früh quasi so eine sehr ausdifferenzierte, diverse Wirtschaft schaffen

Intro: innerhalb der Nationalstaaten.

Intro: Der Rest der Welt war im Nachteil, weil sie im Prinzip über Jahrhunderte nur

Intro: Rohstoffe geliefert hatten und wollen jetzt den Westen irgendwie einholen,

Intro: um überhaupt in diesem globalen Handelssystem bestehen zu können.

Intro: Und jetzt sagst du, gut, der Westen hatte einfach so einen Vorteil.

Intro: Er hatte schon die besseren Produkte und dagegen konnten eigentlich die anderen

Intro: Länder gar nicht konkurrieren.

Angela Wigger: Also das ist eigentlich die große

Felix Jaitner: Geschichte der Weltmehrheit.

Angela Wigger: Wie holt man den Westen auf? Wir sind es gewohnt, Politik zu betrachten, ja,

Felix Jaitner: Vielleicht unter realpolitischen Gesichtspunkten oder unter liberalen Gesichtspunkten.

Felix Jaitner: Es gibt diese ganzen Theorien aus der Politikwissenschaft, die alle relativ wenig erklären.

Felix Jaitner: Es ist eigentlich eine Geschichte von Aufstieg und Abstieg.

Angela Wigger: Eine Geschichte des Aufholens. Und ich glaube, dass wir darüber hinweg sind,

Felix Jaitner: Also das, was China jetzt zum Beispiel macht.

Angela Wigger: Das chinesische Wachstum, wie geht man damit um, nicht mehr an der Weltspitze

Angela Wigger: zu stehen, überholt worden zu sein?

Felix Jaitner: Was bedeutet das?

Intro: Du argumentierst, der Kapitalismus, von dem natürlich insbesondere die USA und

Intro: andere westliche Länder über jetzt viele Jahrzehnte hinweg profitiert haben,

Intro: hat es überhaupt erst ermöglicht, dass seine Antagonisten, wie zum Beispiel

Intro: China, zu ernstzunehmenden Konkurrenten wurden, weil sie sich in dieses System

Intro: angepasst haben, um selbst darin zu bestehen?

Felix Jaitner: Ja, jetzt erinnere ich mich auch wieder daran, warum ich nicht so viel von Kapitalismus rede.

Angela Wigger: Weil es eher um

Felix Jaitner: Industrialisierung geht und weil auch der real existierende Sozialismus ja eigentlich

Felix Jaitner: auch ein staatliches Industrialisierungsprojekt war.

Angela Wigger: Wirtschaftlich betrachtet. Genau, aber das stimmt.

Felix Jaitner: Also es ist ja eine große Kritik innerhalb der Mager-Republicans.

Angela Wigger: Dass man China groß gemacht habe durch die amerikanische Globalisierung.

Angela Wigger: Das ist eigentlich auch etwas, wo man unter Trump-Anhängern Gehör finden würde. J.D.

Felix Jaitner: Vance redet davon die ganze Zeit.

Angela Wigger: Dass der Freihandel, dass die Globalisierung, dass die Verlagerung der Produktion

Angela Wigger: von Apple und anderen nach China,

Felix Jaitner: Es China ermöglicht hat, die Technologieleiter hochzusteigen.

Angela Wigger: Da hätte man vielleicht weniger

Felix Jaitner: Generös sein sollen, ist jetzt sozusagen der Gedanke.

Felix Jaitner: Ich glaube, das verstellt auch den Blick auf das chinesische Wachstum,

Felix Jaitner: weil das auch sehr, sehr viel auf Eigenleistung beruht. Aber es stimmt natürlich auch.

Angela Wigger: Ohne iPhones in Shenzhen wäre diese Story eine andere gewesen.

Angela Wigger: Ja, vielleicht kann man jetzt auch argumentieren,

Felix Jaitner: Dass deswegen die Rede vom.

Angela Wigger: Abstieg des Westens

Felix Jaitner: Auch ein bisschen zu vorheilig ist, weil ja westliche Firmen immer noch diese

Felix Jaitner: riesigen Profite einfahren in nicht westlichen Ländern. Das ist einfach eine

Felix Jaitner: Frage von Produktionsverlagerung.

Angela Wigger: Es stimmt natürlich, dass ein gewisser Teil des chinesischen wirtschaftlichen

Angela Wigger: Outputs auf Firmen zurückgeht,

Felix Jaitner: Die dort produzieren. Das gilt natürlich auch für alle anderen Länder Asiens.

Angela Wigger: Aber natürlich ist es so,

Felix Jaitner: Dass die erfolgreichen Aufsteiger in der Globalisierung aufgestiegen sind,

Felix Jaitner: weswegen es ja für die Globalisierung, für den Freihandel.

Angela Wigger: Für die globale

Felix Jaitner: Handelsordnung ja noch sehr viele Abnehmer gibt.

Angela Wigger: Und die ist ja jetzt nur unter Marga-Republicans oder unter vielleicht Altlinken unbeliebt.

Angela Wigger: Aber die Globalisierung geht weiter in Asien.

Angela Wigger: Also eine Welt nach dem Westen wird immer noch eine globalisierte sein,

Angela Wigger: nur eben mit einem anderen Schwerpunkt.

Intro: Und auch immer noch eine kapitalistische.

Felix Jaitner: Ja, das ist ja auch ein interessanter Unterschied zum alten Kalten Krieg.

Felix Jaitner: Es gibt keine Opposition, keine Alternativen.

Felix Jaitner: Also worum kämpft man eigentlich? Es ist dasselbe System.

Felix Jaitner: Alle wollen in etwa dasselbe.

Intro: Die Frage ist, wer hat quasi wie viel Anteil an diesem System?

Felix Jaitner: Die alte Frage der Politik, wer bekommt was, wann und wie.

Angela Wigger: Genau.

Intro: Wir konnten ja jetzt schon in den vergangenen Jahren beobachten,

Intro: dass eigentlich ausgerechnet in den USA plötzlich so Grundsätze des Wirtschaftsliberalismus

Intro: über Bord geworfen werden.

Intro: Also es hieß ja immer freie Märkte auf der ganzen Welt, das ist irgendwie so das ultimative Ideal.

Intro: Und dann begann Trump in seiner ersten Amtszeit mit so wirtschaftsprotektionistischen

Intro: Maßnahmen, also zum Beispiel Zolle auf E-Autos in China.

Intro: Und Biden führte das weiter. Also es war nicht nur ein Trump-Ding oder ein Ding

Intro: der Republikaner oder der Magerbewegung. Biden führte das ja auch weiter und

Intro: auch in Deutschland haben wir solche Tendenzen gesehen unter der Ampel.

Intro: Wo kommt jetzt dieser Wandel auf einmal her? Gibt man jetzt den freien Markt

Intro: auf, quasi weil man gemerkt hat, der hat China erst groß gemacht?

Intro: Also gehen wir jetzt nochmal zurück. Wie erklärst du dir das?

Angela Wigger: Ja, es hat zu gut geklappt mit dem freien Markt oder dem semifreien Markt.

Felix Jaitner: Die anderen waren etwas zu erfolgreich.

Angela Wigger: Natürlich, das ist die Frage.

Felix Jaitner: Man kann das in Deutschland sehr gut am Beispiel der Automobilindustrie ablesen.

Felix Jaitner: Diese Industrie ist für Deutschland existenziell.

Felix Jaitner: VW hat mindestens jedes vierte Auto in China verkauft bis vor kurzem,

Felix Jaitner: wurde jetzt aber abgelöst von einheimischen Herstellern.

Angela Wigger: BYD kennen manche, die produzieren unglaublich viele,

Felix Jaitner: Unglaublich günstige und sehr gute Elektroautos. Ich meine, die Wahl ist natürlich,

Felix Jaitner: wenn man das jetzt sozusagen kapitalistisch denkt und nationalstaatlich,

Felix Jaitner: was macht jetzt Deutschland mit diesen chinesischen E-Autos?

Angela Wigger: Entweder man lässt

Felix Jaitner: Die alle rein und dann ist die hiesige Industrie kaputt oder semi-kaputt.

Angela Wigger: Aber die Konsumenten sind erstmal froh,

Felix Jaitner: Oder man macht es nicht und dann wird das Zeug aber hier teurer und man deglobalisiert

Felix Jaitner: sich und hat ein Problem mit unendlich vielen anderen Produkten,

Felix Jaitner: die man als globalisiertes Land einfach braucht.

Felix Jaitner: Also die Frage ist, auf welche Weise will man hier verlieren?

Felix Jaitner: Das alte Modell, wo westliche Firmen Produktion auslagern, in Asien wird günstig hergestellt.

Angela Wigger: Die Profile gehen in den Westen und die Konsumenten im Westen sind auch einigermaßen froh,

Felix Jaitner: Obwohl sie selber natürlich Wohlstandsfluste verkraften müssen,

Felix Jaitner: weil die Kraft der arbeitenden Klasse abgenommen hat und so weiter.

Felix Jaitner: Dieses ganze Modell verschwindet.

Angela Wigger: In sehr vielen Sektoren zumindest.

Felix Jaitner: Und in Deutschland steht dieser China-Schock.

Angela Wigger: Den die amerikanische arbeitende Klasse erleidet,

Felix Jaitner: Dieser China-Schock.

Angela Wigger: Der in den

Felix Jaitner: USA für jedes Übel verantwortlich gemacht wird mittlerweile.

Angela Wigger: Den wird es auch in Deutschland geben.

Felix Jaitner: Und die Reaktion darauf ist schon dramatisch und wird dramatisch sein, zu Recht.

Intro: Also wir sehen quasi, der westlich dominierte Welthandel war bisher immer im

Intro: Einklang mit nationalen Interessen und auf einmal hat sich das gewandelt.

Intro: Auf einmal gibt es so einen Clash zwischen dieser freien marktwirtschaftlichen

Intro: Ordnung und dem nationalen Interesse.

Intro: Du sagst es ja selbst, aus deutscher Sicht, Autos zu exportieren spielt eine

Intro: Riesenrolle für die nationale Wirtschaft.

Intro: Und wenn das jetzt auf einmal wegbricht, sind nationale Interessen enorm gefährdet.

Intro: Aber es ist doch irgendwie interessant, man hat das ja wirklich gepredigt,

Intro: dass das das ultimative Ideal ist, dieser freie Handel.

Intro: Und plötzlich sagt man, das müssen wir uns nochmal überlegen.

Felix Jaitner: Ja, das sagen ja nicht alle, das sagt zunächst immer vor allem Trump.

Felix Jaitner: Aber da muss man sich vielleicht daran erinnern, dass Freihandel nie das absolute Grundgesetz war.

Angela Wigger: Also wie gesagt, USA, Großbritannien, Deutschland, all diese Länder haben Protektionismus

Angela Wigger: noch und nöcher eingesetzt, um selber aufzusteigen.

Angela Wigger: Man macht Freihandel vor allem dann,

Felix Jaitner: Wenn man schon konkurrenzfähig ist.

Angela Wigger: Dann macht man das.

Felix Jaitner: Und dann können die anderen, die Leiter, nicht hinaufsteigen,

Felix Jaitner: die man selber erklommen hat, wie das Friedrich List damals genannt hat.

Felix Jaitner: Ich denke, dass das vor allem dahinter steht. Aber wie gesagt,

Felix Jaitner: die Globalisierung, es gibt sehr viele Globalisierungsabnehmer.

Angela Wigger: Die befinden sich einfach nur

Angela Wigger: noch weniger im Westen. Und all das wird weitergehen, nur irgendwo anders.

Intro: Und du beschreibst ja quasi das, was Trump macht, also dieser Plan,

Intro: den er hat, von dem wir nicht wissen, ob er funktioniert, als Abstiegsbewältigungsstrategie für die USA.

Intro: Das hört sich manchmal so ein bisschen an, als würde Trump jetzt sagen,

Intro: wir verkriechen uns in unser Land und wollen mit der Welt gar nichts mehr zu

Intro: tun haben und keine Macht mehr ausüben.

Intro: Also wenn man seine Zollpolitik anschaut, sieht es aber auch irgendwie so aus,

Intro: als wollte er weiterhin der König der Welt sein, der irgendwie seinen Vasallen

Intro: sagt, entweder ihr macht, was ich will oder ich drücke euch Zölle rein,

Intro: entweder ihr rüstet so viel auf, wie ich will oder ihr werdet von mir nicht mehr geschützt.

Intro: So ganz sieht es ja jetzt nicht aus, als würde er quasi seine Macht abgeben

Intro: wollen. Er will ja schon weiterhin Macht ausüben.

Angela Wigger: Klar. Also es gibt einen amerikanischen Rückzug in Maaßen.

Felix Jaitner: Es gibt diese Multipolarisierung auch im militärischen Sinne,

Felix Jaitner: würde ich argumentieren.

Felix Jaitner: Die USA, mit Abstrichen auch Europa, werden ja trotzdem noch machtvolle Akteure bleiben.

Felix Jaitner: Also es gibt keinen Untergang des Westens, es sei denn, es gibt einen Nuklearkrieg

Felix Jaitner: oder den völligen Klimakollaps. Das ist also alles möglich, aber im Großen und

Felix Jaitner: Ganzen gibt es eine Reduktion des westlichen Einflusses.

Felix Jaitner: Im amerikanischen Fall heißt das, dass diese Unipolarität oder auch Hegemonie

Felix Jaitner: oder das imperiale Modell quasi sich zurückbaut Richtung eine sehr machtvolle Nation,

Felix Jaitner: die sich auch nach Trump vermutlich wieder ändern wird.

Angela Wigger: Aber du hast es ja vorhin auch angedeutet, auch unter Biden

Felix Jaitner: Wurde eigentlich eine recht ähnliche Politik in manchen Feldern gefahren.

Angela Wigger: Also den Aufstieg Chinas einzugrenzen,

Felix Jaitner: Das war für Biden eigentlich zentral. Dann andere Dinge wie die Unterstützung

Felix Jaitner: des Krieges in Gaza geht auch auf das Konto von Biden.

Angela Wigger: Was sich geändert hat, ist, dass unter Joe Biden noch diese liberale Ordnung

Angela Wigger: hochgehalten worden ist und dass die USA und das Europa die sogenannte regelbasierte

Angela Wigger: Ordnung vertreten würden,

Angela Wigger: was aber außerhalb derer, die es gesagt haben,

Felix Jaitner: Eigentlich kaum noch jemand geglaubt hat.

Angela Wigger: Und jetzt wird auch diese Rede aufgegeben.

Felix Jaitner: Das entfährt manchmal noch einem europäischen Außenpolitiker,

Felix Jaitner: einer Außenpolitikerin, aber abgesehen davon ist das ja bemerkenswert schnell

Felix Jaitner: verschwunden und wir gehen eine Welt über.

Angela Wigger: Die sehr transaktionell wirkt. Und das ist natürlich Trump,

Felix Jaitner: Der Vorreiter dieser sehr geschäftsorientierten.

Angela Wigger: Interesseorientierten Welt, ohne den Überbau,

Felix Jaitner: Wenn man so will, von Werten und Regeln und so weiter, die ja aber wichtig sind

Felix Jaitner: oder wichtig wären. Und in diesem Sinne ist Trump sozusagen der vielleicht ein

Felix Jaitner: Vorbote dessen, was kommt.

Felix Jaitner: Ich würde das nicht so negativ sehen. Ich glaube, dass Trump eher ein Symptom

Felix Jaitner: ist in vielerlei Hinsicht für diesen westlichen relativen Abstieg und dass er

Felix Jaitner: auf seine sehr seltsame Weise der Abstiegsmanager der USA und des weiteren Westens ist.

Angela Wigger: Genau, wenn man das so betrachtet,

Felix Jaitner: Ist eigentlich Trump eine unfassbar interessante, seltsame, natürlich furchteinflößende

Felix Jaitner: auch Geschichtsfigur, die aber eben am Ende einer alten Ordnung steht.

Felix Jaitner: Er repräsentiert das Chaos des Übergangs, wenn man so möchte.

Angela Wigger: Und ich will

Felix Jaitner: Jetzt nicht dieses abgenutzte Gramsci-Zitat nutzen.

Angela Wigger: Aber diese Übergangsphasen sind eben,

Angela Wigger: ultimativ gefährlich.

Felix Jaitner: Also wenn das Alte noch nicht gestorben, aber das Neue noch nicht geboren ist.

Angela Wigger: Dann ist eine Zeit der Monster. Das zitieren gerade sehr,

Felix Jaitner: Sehr viele.

Intro: Aber auch schon ziemlich lange. Also es ist eine lange Zeit der Monster.

Felix Jaitner: Genau, aber jetzt stimmt es. Und es ist tatsächlich wirklich so.

Felix Jaitner: Ich meine, man hat ja sehr lange geredet vom Abstieg des Westens.

Angela Wigger: Ich meine, Oswald Spengler hat vom Untergang des Abends geschrieben in der Weimarer Republik.

Felix Jaitner: Damals stimmte es natürlich auch für die bürgerliche Zivilisation Europas.

Angela Wigger: Aber jetzt ist es, glaube ich, wirklich so,

Felix Jaitner: Dass diese Multipolarität, wenn man es so nennen möchte.

Angela Wigger: Auch zur Realität wird.

Felix Jaitner: Es ist aber noch alles sehr im Umbruch und im.

Angela Wigger: Schwanken und im sich Austarieren.

Felix Jaitner: Es kann auch sein, dass es auf längere Zeit so bleibt.

Angela Wigger: Dass diese Welt sehr fluide

Felix Jaitner: Ist in ihren Allianzen. Das wäre vielleicht auch gar nicht so schlecht.

Angela Wigger: Also das letzte Mal, als wir Multipolarität hatten,

Felix Jaitner: Das war in Europa vor dem Ersten Weltkrieg und da ging es schief,

Felix Jaitner: als die Allianzen sehr rigide wurden.

Felix Jaitner: Also vielleicht ist dieser ewige Fluxzustand.

Angela Wigger: Solange er dann erhalten bleibt,

Felix Jaitner: Nicht unbedingt schlecht, sicherheitspolitisch betrachtet.

Intro: Ist ganz interessant. Also es sitzt ja jetzt nicht nur da ein wirklich rechtsextremer

Intro: Typ im Weißen Haus zum zweiten Mal, aber er tritt noch sehr viel radikaler auf als beim ersten Mal.

Intro: Er baut gerade ganz aktiv die Demokratie in seinem Land ab, auch nochmal radikaler

Intro: als in seiner ersten Amtszeit.

Intro: Das können wir gerade alle live jeden Tag beobachten.

Intro: Die USA ist auch ganz offenbar für Deutschland und Europa zumindest kein verlässlicher Partner mehr.

Intro: Glaubst du, das sackt so langsam bei den deutschen Eliten ein,

Intro: dass man am transatlantischen Bündnis jetzt nicht mehr festhalten kann?

Intro: Oder klammert man sich noch daran fest, weil man das noch gar nicht glauben

Intro: kann oder gar nicht wahrhaben will, dass sich da gerade fundamental was ändert?

Angela Wigger: Was ich interessant fand,

Felix Jaitner: Direkt nach Amtsantritt hat Trump erstmal Grönland gedroht, Kanada und Panama.

Felix Jaitner: Also alles Länder innerhalb.

Angela Wigger: Des Westens und

Felix Jaitner: Hat aber Richtung Russlands erst natürlich die Hand sehr lang ausgestreckt.

Angela Wigger: Also eigentlich das Gegenteil von einem Biden in diesem Sinne,

Felix Jaitner: Der sozusagen seine Verbündeten.

Angela Wigger: Zu ihnen freundlich war und dann zu den Feinden des Westens eben nicht.

Felix Jaitner: Und das spricht ja eigentlich für so eine multiplare Sicht auf die Welt,

Felix Jaitner: wo sich eine Regierung Trump auf die eigene Umgebung, die westliche Hemisphäre konzentriert.

Felix Jaitner: So konnte man das damals auf jeden Fall nach Amtsantritt interpretieren.

Felix Jaitner: Ich glaube, das ist auch immer noch ein prägender Gedanke. Also ich glaube wirklich,

Felix Jaitner: dass es unter Trump diesen Rückzug gibt von diesen Commitments.

Angela Wigger: Die Weltordnung aufrechtzuerhalten.

Felix Jaitner: Es kostet ja auch viel, ein globaler Hegemon zu sein.

Angela Wigger: Also das ist das Erste. Und für Europa fand ich sehr interessant,

Felix Jaitner: Auch nach Amtsantritt von Friedrich Merz diesmal in der Elefantenrunde nach

Felix Jaitner: der Wahl mit den anderen Spitzenkandidaten.

Angela Wigger: Sagte er, dass man sich jetzt von den USA lösen müsse.

Felix Jaitner: Und das war ein völlig erstaunlicher TV-Moment.

Angela Wigger: Weil auf einmal Friedrich Merz klang wie Charles de Gaulle. Das gab es noch nicht,

Felix Jaitner: Also bei einem Kanzler der Bundesrepublik. Diese Rede ist dann doch recht schnell

Felix Jaitner: wieder verschwunden und wurde durch andere Bilder ersetzt.

Felix Jaitner: Ich fand ein Bild sehr interessant, das war vor, zum Zeitpunkt unserer Aufnahme.

Angela Wigger: Einigen Wochen, da saßen die europäischen

Felix Jaitner: Staatsoberhäupter von Meloni, Stama.

Angela Wigger: Merz und Macron im

Felix Jaitner: Weißen Haus und sie saßen wie so Schüler vor Trump.

Angela Wigger: Der ihnen gesagt hat,

Felix Jaitner: Wie das jetzt hier läuft. Und die saßen und haben sozusagen Anweisungen erhalten.

Felix Jaitner: Ich weiß jetzt nicht, wie dieses Bild zustande kam.

Angela Wigger: Aber so etwas wird ja global rezipiert. Das hat sozusagen Einfluss darauf,

Angela Wigger: auch wie Europa wahrgenommen wird.

Angela Wigger: Und in einer solchen Situation davon zu reden,

Felix Jaitner: Dass Europa irgendwie ein besonders unabhängiger Pool in der Weltpolitik sei,

Felix Jaitner: das glauben sehr wenige.

Intro: Ich hatte damals den Eindruck, es gab diesen Zelensky-Besuch im Weißen Haus.

Intro: Trump hat ihn vorgeführt, hat signalisiert,

Intro: wir werden die Ukraine nicht unterstützen, wie das Biden getan hat.

Intro: Wir nehmen uns da raus und wir versuchen diesen Krieg quasi in Verhandlungen

Intro: mit Putin direkt zu beenden. Und dann hatten auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Intro: alle Panik und es war die Rede von, wir müssen uns unabhängig machen.

Intro: Aber ich glaube, da ist noch was Zweites passiert. Ich glaube,

Intro: das war auch ein perfektes Window of Opportunity, also Möglichkeitsfenster für

Intro: Merz, schon vor seiner Wahl zu

Intro: argumentieren, wir müssen jetzt die Schuldenbremse fürs Militär lockern.

Intro: Also es war ja der perfekte Moment, um zu argumentieren, guck mal,

Intro: Trump ist nicht mehr auf unserer Seite oder könnte potenziell als Partner wegfallen.

Intro: Lasst uns doch die Militärausgaben von der Schuldenbremse befreien.

Intro: Das war eigentlich ein kluger Move, weil zum einen wusste er ja,

Intro: erstens mit dem alten Bundestag wird es leichter, das zu machen,

Intro: weil die Mehrheitsverhältnisse dort noch einfacher waren, um sowas durchzubringen.

Intro: Und zweitens wusste er ja, dass Trump erwartet, von Europa und von Deutschland

Intro: seine Militäraufgaben auf 5% zu steigern, also seine NATO-Ausgaben und Werte.

Intro: Das hat ihm quasi sein Regieren sehr viel leichter gemacht.

Intro: Aber es gibt Leute, die mir immer wieder sagen, nein, nein, man will sich da

Intro: wirklich unabhängig machen.

Intro: Am Ende kann ich ihnen nicht in den Kopf schauen. Aber ich fand das schon interessant,

Intro: dass er da so schnell geswitcht ist von, wir müssen uns unabhängig machen.

Intro: Und auf einmal, Trump ist im Amt, er ist im Amt.

Intro: Und man macht einfach genau das, was er sagt. Also was Trump sagt.

Intro: Das sieht nicht nach unabhängig machen aus.

Angela Wigger: Das stimmt. Das könnte man natürlich sagen,

Felix Jaitner: Das ist einfach nur ein Trick. Man gibt das jetzt aus. beschafft sich diese

Felix Jaitner: ganzen Waffen und dann sagt man Ciao. Das ist natürlich möglich.

Felix Jaitner: Da muss man sich natürlich fragen,

Felix Jaitner: wie viel von diesem Geld fließt an amerikanische Rüstungsfirmen und.

Angela Wigger: Was ist einfach

Felix Jaitner: Nur sozusagen der militärisch-industrielle Komplex, wenn man so möchte.

Felix Jaitner: Ich finde diese Frage der europäischen Unabhängigkeit sehr zweischmeidig,

Felix Jaitner: weil die Frage ist immer, wer wird da unabhängig und warum?

Angela Wigger: Also du hast gerade gesagt,

Felix Jaitner: Deutschland nimmt Geld in die Hand.

Angela Wigger: Um in dieser neuen Welt irgendwie klar zu kommen,

Felix Jaitner: Aber das Geld wird für was investiert?

Angela Wigger: Für Militärausgaben.

Felix Jaitner: Es fließt nicht in Bildung, es fließt nicht in Infrastruktur,

Felix Jaitner: nicht in Modernisierung des Landes.

Felix Jaitner: Also, um es ganz direkt zu sagen, und das ist eine Meinung, die wirklich von

Felix Jaitner: links bis rechts geteilt wird in Deutschland.

Angela Wigger: Das Land zerfällt einfach gerade.

Angela Wigger: Es geht wirklich relativ stark kaputt in vielen Bereichen.

Felix Jaitner: Und was tut man?

Angela Wigger: Man schafft sich wieder eine große Armee an.

Felix Jaitner: Was ist das für eine Antwort? Was ist das für ein Angebot für diese zukünftige Welt?

Angela Wigger: Während in anderen Ländern,

Felix Jaitner: Auch hier, wo ich jetzt bin, wirklich Geld in andere Sachen gesteckt wird.

Felix Jaitner: Eben in eine andere Art von Zukunft. Also die Frage, wofür man sein Geld ausgibt,

Felix Jaitner: die zeigt ja auch an, wie man die Zukunft sieht.

Angela Wigger: Und was man in dieser Zukunft erwarten möchte.

Felix Jaitner: Wer dieses Geld ausgibt für neue Technologien.

Angela Wigger: Für seine Infrastruktur, für Transport,

Felix Jaitner: Für Bildung, vielleicht ist das ein schöneres Bild von Zukunft,

Felix Jaitner: was dahinter steht, als das.

Angela Wigger: Was in einem Land existiert,

Felix Jaitner: Was Geld nur in seine Rüstung investiert.

Angela Wigger: Das ist sozusagen auch interessant.

Felix Jaitner: Was ist der Blick auf die Zukunft hinter diesen Staatsanstrengungen?

Intro: Jetzt würde ein Friedrich Merz oder ein Carlo Massala und wie sie alle heißen,

Intro: würden jetzt argumentieren, nur wenn wir den Frieden sichern,

Intro: indem wir ganz viel aufrüsten und Russland abschrecken,

Intro: haben wir überhaupt eine Zukunft. Das ist ja deren Argument.

Felix Jaitner: Wir haben in Deutschland aktuell sehr viele Sicherheitsexperten.

Angela Wigger: Die sagen allen etwa dasselbe.

Felix Jaitner: Und das sind auch die Leute, die die Antworten geben auf die Frage,

Felix Jaitner: was passiert hier eigentlich gerade.

Angela Wigger: Was kommt nach dem Westen?

Felix Jaitner: Und diese Antworten sind immer.

Angela Wigger: Wir sind die Guten, wir haben geschlafen, wir haben mit den falschen Geschäften getrieben,

Felix Jaitner: Haben uns zu lange auf die USA verlassen.

Angela Wigger: Jetzt müssen wir lernen, selber zu handeln, uns aufzurüsten und über Abschreckung

Angela Wigger: dann so etwas wie friedliche Zustände zu schaffen.

Felix Jaitner: Das ist ein sehr interessanter Gedanke, dass Frieden oder die Abwesenheit von

Felix Jaitner: Krieg nur über Abschreckung zu schaffen ist.

Angela Wigger: Was man dabei vergisst, ist eines der grundlegendsten

Felix Jaitner: Prinzipien dieser sogenannten.

Angela Wigger: Wissenschaft in seinen Beziehungen, nämlich das Sicherheitsdilemma.

Felix Jaitner: Was ich tue, um mich sicher zu fühlen.

Angela Wigger: Also Waffen anschaffen, mich aufzurüsten,

Felix Jaitner: Schafft Unsicherheit in meinem Gegenüber.

Angela Wigger: Der dann dasselbe tut, sich aufzurüsten, was dann an eine Rüstungsspirale führt.

Felix Jaitner: Das ist ein Grundprinzip von staatlichen, vielleicht auch schon sogar menschlichen Beziehungen.

Felix Jaitner: Das ist sozusagen transhistorisch und transregional.

Angela Wigger: Und dieses Prinzip des Sicherheitsdilemmas muss man wirklich,

Angela Wigger: genauso das des Abstiegs des Westens, in die Köpfe kriegen.

Angela Wigger: Weil sonst wird auch in Deutschland einiges noch schiefer laufen,

Felix Jaitner: Als es das gerade tut.

Intro: Und irgendwie dachte man ja, wir hätten aus dem Kalten Krieg und dieser Aufrüstungsspirale

Intro: und Abschreckungsspirale gelernt.

Felix Jaitner: Ja, das stimmt. Ich glaube auch, dass sehr viele Überzeugungen und Ängste aus

Felix Jaitner: dem Kalten Krieg vergessen worden sind. Zum Beispiel die Angst vor Atomwaffen.

Angela Wigger: Die scheint mir ein bisschen vergessen worden zu sein. Das ist schon interessant.

Felix Jaitner: Also die Leichtfertigkeit, mit der über Krieg geredet wird.

Angela Wigger: Auch über die Möglichkeit eines Krieges und die Überzeugung,

Felix Jaitner: Mit der man glaubt, auf der richtigen Seite in all diesen Kriegen zu stehen.

Angela Wigger: Das erstaunt mich.

Intro: Ist doch ganz klar, der freiheitlich-liberale demokratische Westen gegen die

Felix Jaitner: Kräfte der Unfreiheiten des.

Intro: Bösen Osten.

Angela Wigger: Ja, vielleicht.

Felix Jaitner: Und was ist das Ergebnis dessen dann? Ein großer Krieg mit China um was? Die Unipolarität.

Felix Jaitner: Also man merkt schon, wenn man diese Gedanken so ein bisschen weiterspinnt.

Angela Wigger: Da kommt irgendwie nichts mehr.

Felix Jaitner: Da ist die Zukunft dann doch sehr, sehr düster. Und das finde ich doch sehr betrüblich.

Angela Wigger: Dass aktuell auch

Felix Jaitner: In der deutschen Politik eigentlich keine positiven Visionen oder zumindest

Felix Jaitner: Visionen, die keine Horrorszenarien sind.

Angela Wigger: Darüber entstehen, wie eine Welt nach dem Westen aussehen könnte.

Felix Jaitner: Also es ist sozusagen ein Pessimismus da, der anderswo aber nicht so geteilt wird.

Angela Wigger: Das ist interessant. Also wer in aufsteigenden Ländern unterwegs ist,

Felix Jaitner: Auch außerhalb dieses Teils der Welt, merkt ja, auch wenn man sprachfremd ist

Felix Jaitner: und sich nicht gut auskennt, dass die Grundstimmung doch eine andere ist.

Angela Wigger: Und diese Zukunftslosigkeit, die wir im Westen haben,

Felix Jaitner: Ist hier in der Psychologie ein Zeichen für Depressionen.

Angela Wigger: Also man kann von gesellschaftlicher Depressionen sprechen.

Felix Jaitner: Wenn du gesellschaftlich nicht in der Lage bist.

Angela Wigger: Eine Zukunftsvision aufzustellen, die du glauben kannst und für die du politisch handeln kannst,

Felix Jaitner: Dann hast du ein Depressionsproblem gesellschaftlich betrachtet.

Felix Jaitner: Ich merke es immer, wenn ich nach Deutschland zurückfahre.

Felix Jaitner: Ich fahre gerne zurück, aufgrund gewisser Menschen und gewisser Dinge, die ich da tue.

Angela Wigger: Aber die...

Angela Wigger: Dünnung wird wirklich

Felix Jaitner: Jahr für Jahr einfach schlimmer. Und das hat Gründe. Und Politik hätte da eine andere Aufgabe.

Intro: Dann kommen wir mal dazu, was die andere Aufgabe wäre.

Intro: Wie könnte sich denn Europa in diesen Machtverschiebungen, wie könnte man handeln,

Intro: um aus dieser Depression rauszukommen?

Intro: Und vielleicht auch aus dieser starken Abhängigkeit mit den USA wegzukommen, wenn man es denn wollte.

Angela Wigger: Was kann Europa tun? Wie soll Europa in diese zukünftige Welt hineinfinden?

Felix Jaitner: Der erste Punkt für mich wäre würdevolles Abstiegsmanagement und Aufgabe des

Felix Jaitner: Kulturkampfes und Aufgabe dieser Überlegenheitsbehauptung.

Angela Wigger: Die es immer noch gibt, die ist einfach

Felix Jaitner: Nur noch in vielerlei Hinsicht in diesem Jahr 2025 bizarr.

Angela Wigger: Das ist das Erste. Das Zweite ist, natürlich,

Felix Jaitner: Glaube ich, muss man Abhängigkeiten reduzieren. Das heißt aber nicht,

Felix Jaitner: dass man irgendwie das Lager wechseln muss oder überhaupt das Lagerdenken zu

Felix Jaitner: stark vorantreiben sollte.

Angela Wigger: Europa, wie ich es mir vorstellen könnte, wäre eigentlich ein recht integrierter,

Angela Wigger: recht neutraler geopolitischer Akteur,

Felix Jaitner: Der durchaus verteidigungsfähig ist. Das tut mir leid.

Angela Wigger: Das auf einem linken Podcast zu sagen,

Felix Jaitner: Aber ich glaube, aktuell braucht es eine Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland.

Felix Jaitner: Die lässt sich aber erreichen mit bestehenden Militärausgaben, wohlgemerkt.

Felix Jaitner: Man braucht keine 5%, man braucht nicht mal 4 oder 3%, das geht mit aktuellen Ausgaben.

Felix Jaitner: Das ist das eine. Aber ansonsten an Europa.

Angela Wigger: Was von Ländern Südostasiens zum Beispiel sehr viel lernt.

Felix Jaitner: Das sind Länder, die es geschafft haben.

Angela Wigger: Mit China auszukommen, mit den USA auszukommen, miteinander auszukommen.

Angela Wigger: Also Länder, die es schaffen,

Felix Jaitner: In anderen Worten, Diplomatie in alle Richtungen zu betreiben.

Felix Jaitner: Also Abhängigkeiten reduzieren, ja, in meinen Augen auch in verschiedene Richtungen, aber nicht so sehr.

Angela Wigger: Dass man globale Kooperationen

Felix Jaitner: Und auch Handelsbeziehungen.

Angela Wigger: Aufgeben würde.

Felix Jaitner: Das halte ich für falsch. Das wäre ein weiterer Punkt.

Angela Wigger: Aber der erste wäre mir wichtig,

Felix Jaitner: Der Realität ins Auge zu sehen, dass es jetzt wirklich der Fall ist.

Angela Wigger: Dass es einen Umbruch gibt in der globalen Politik und dass man dem nicht entgegnet

Angela Wigger: durch Panikreaktionen, durch

Angela Wigger: massive Rüstung, sondern eben durch ein dosiertes Abstiegsmanagement,

Felix Jaitner: Was zwangsweise mit recht radikalen Reformen im Inneren einhergeht.

Felix Jaitner: Also ein Deutschland, das nicht mehr wächst, sondern im Gegenteil,

Felix Jaitner: vielleicht wirtschaftlich sogar schrumpfen wird.

Angela Wigger: Ist darauf angewiesen, sein Reichtum,

Felix Jaitner: Der ja da ist und der groß ist, gigantisch ist, etwas fairer zu verteilen oder

Felix Jaitner: die Zugänge dazu fairer zu verteilen. Das muss man machen, glaube ich,

Felix Jaitner: wenn man an einer Demokratie bleiben möchte.

Angela Wigger: Also für die Zukunft stehen politisch riesige Aufgaben an,

Felix Jaitner: Außenpolitisch diesen Abstieg zu bewältigen und innenpolitisch ihn auch zu bewältigen.

Angela Wigger: Indem man durch

Felix Jaitner: Eine andere Wirtschaftspolitik die Demokratie im Land erhält.

Angela Wigger: Ich glaube, es geht um nichts weniger.

Felix Jaitner: Jetzt kann man sich natürlich fragen.

Angela Wigger: Ist die politische Klasse des Landes dafür gut aufgestellt oder daran interessiert?

Felix Jaitner: Genau, ich bin ja auch so idealistisch, dass ich immer sozusagen den Willen

Felix Jaitner: dazu voraussetze. Gute Frage, das weiß ich nicht.

Intro: Gilt es zu erkämpfen, dieses Interesse von innen heraus, würde ich sagen.

Felix Jaitner: Vielleicht Podcast für Podcast.

Intro: Ja, das ist doch ein gutes Schlusswort. Ein kleineres, ein weniger mächtiges

Intro: Deutschland und Europa, ein demokratischeres Europa, das hören wir gerne, diese Zukunftsvision.

Intro: Momentan scheint es sehr weit weg, aber du sagtest ja schon richtig,

Intro: wir müssen positive Zukunftsvisionen zumindest im Kopf haben, damit sie möglich sind.

Intro: Ein Ende des Kapitalismus ist in diesem Ganzen sehr schwer herbeizudenken.

Intro: Dafür gibt es keine Alternative, weder in der alten westlich dominierten noch

Intro: in einer multipolaren Weltordnung, wie wir sie jetzt beschrieben haben.

Intro: Vielleicht denken wir darüber in einer anderen Folge nochmal nach.

Intro: Vielen, vielen Dank, dass du da warst. Ich durfte dein Buch ja schon lesen.

Intro: Ich freue mich sehr drauf, wenn es rauskommt.

Felix Jaitner: Ich bin auch sehr gespannt, Polina. Dankeschön.

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