Will Russland Frieden, Alexey Yusupov?
Shownotes
Der Krieg in der Ukraine geht bereits in sein viertes Jahr – doch seit dem Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin gibt es neue Hoffnungen auf Friedensverhandlungen.
In der vierten Folge unseres Podcast «Weltunordnung» spricht Felix Jaitner mit Alexey Yusupov, Leiter des Russlandprogramms der Friedrich-Ebert-Stiftung, über die Entwicklung in Russland. In einer multipolaren Welt beansprucht Russland einen Platz als anerkannte Großmacht, doch die sozialen Widersprüche im Land nehmen zu. Für die künftige Entwicklung des Landes wird es entscheidend, welche politische Kraft als erstes eine Gerechtigkeitsagenda entwickelt. Die Hoffnungen ruhen auf der Linken, doch mittlerweile hat auch die extreme Rechte die soziale Ungleichheit für sich entdeckt und droht die Kräfteverhältnisse weiter zu verschieben.
«Weltunordnung» ist der neue Podcast zu internationaler Politik der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Hosts Pauline Jäckels und Felix Jaitner sprechen im Wechsel mit Expert*innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik.
Kontakt, Kritik, Feedback: weltunordnung@rosalux.org
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Shownotes:
Mikhail Lobanov (2024): Eine Revolution in Russland ist möglich. Rosa-Luxemburg-Stiftung.
David Ernesto Garcia Doell (2022): A fascist regime looms in Russia. Interview with Gregory Yudin. Analyse und Kritik. Zeitung für linke Debatte & Praxis.
Mathias Brüggmann (2025): Der Rubel rollt nicht mehr. TAZ.
Transkript anzeigen
Felix Jaitner: Weltunordnung. Der internationale Politik-Podcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Alexey Yusupov: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Podcasts Weltunordnung.
Alexey Yusupov: Mein Name ist Felix Jeitner und heute sprechen wir über die Entwicklung in Russland.
Alexey Yusupov: Seit der Wiedervereinigung waren die deutschen Beziehungen zu kaum einem anderen
Alexey Yusupov: Land von stärkeren Brüchen geprägt als zu Russland. Das enge Verhältnis aus
Alexey Yusupov: den 90er und frühen 2000er Jahren ist Geschichte.
Alexey Yusupov: Heute ist Russland nicht nur der größte außenpolitische Konkurrent.
Alexey Yusupov: Wladimir Putin gilt auch als Vorreiter der neuen Rechten, der Europa in ein
Alexey Yusupov: neues Zeitalter der Blockkonfrontation führt.
Alexey Yusupov: Wie realistisch sind da die Aussichten auf ein Friedensabkommen mit der Ukraine?
Alexey Yusupov: Mein heutiger Gast ist Alexej Yusupov. Er leitet das Russlandprogramm der Friedrich-Ebert-Stiftung,
Alexey Yusupov: seit 2022 aus dem Exil in Riga. In deutschen und internationalen Medien ist
Alexey Yusupov: Alexej ein gefragter Experte zur russischen Innen- und Sicherheitspolitik.
Alexey Yusupov: Wir sprechen darüber, wie sich die russische Gesellschaft seit Kriegsbeginn
Alexey Yusupov: verändert, über Alltag und Widerständigkeit der Bevölkerung und darüber,
Alexey Yusupov: welche Aussichten für einen Friedensschluss in der Ukraine existieren.
Alexey Yusupov: Alexej, schön, dass du da bist.
Felix Jaitner: Hi, Vileks, danke, ich freue mich.
Alexey Yusupov: Alexej, du bist in Moskau geboren und hast in Heidelberg und Manchester internationale
Alexey Yusupov: Politik, Ethnologie und Kunstgeschichte studiert.
Alexey Yusupov: Du arbeitest für eine deutsche politische Stiftung und hast lange in Russland
Alexey Yusupov: und anderen post-sowjetischen Ländern gelebt, beziehungsweise tust es ja immer
Alexey Yusupov: noch, du lebst ja auch in Riga.
Alexey Yusupov: Ich vermute, ein ganz wesentlicher Bestandteil deiner Arbeit besteht darin,
Alexey Yusupov: so eine gewisse Übersetzungs- oder Vermittlungsfunktion einzunehmen.
Alexey Yusupov: Das heißt, du erklärst der deutschen bzw.
Alexey Yusupov: Dann der russischen Seite die Position oder das Denken der jeweils anderen.
Alexey Yusupov: Was sind die größten Herausforderungen, wenn du vor einem deutschsprachigen
Alexey Yusupov: Publikum über Russland sprichst?
Felix Jaitner: Die Bundesrepublik hat einfach 82 Millionen Russland-Experten.
Felix Jaitner: Das ist insofern wahr, als dass die Unterhaltung über Russland oder die Sowjetunion
Felix Jaitner: oder die langen deutsch-russischen Beziehungen eigentlich eine innerdeutsche Unterhaltung ist oft.
Felix Jaitner: Das ist ja auch gut erforscht, dass so in öffentlichen Diskursen oft es ein
Felix Jaitner: Gegenüber braucht, um sich selbst besser zu verstehen, aber auch abzugrenzen.
Felix Jaitner: Die eigenen Schicksalsschläge und die deutsche politische Geschichte hat ja
Felix Jaitner: wirklich viele davon gehabt, zu kontrastieren.
Felix Jaitner: Und es ist wichtig, wenn man über Russland heute redet, für mich persönlich
Felix Jaitner: schnell zu verstehen, ist es jetzt wieder eine innerdeutsche Diskussion sozusagen,
Felix Jaitner: wo man über Bande eigentlich eigene Themen behandelt Oder reden wir wirklich
Felix Jaitner: über ein real existierendes Russland, wie das jetzt 2025 auf einem konkreten
Felix Jaitner: physischen Raum existiert?
Felix Jaitner: Wir haben jetzt ein paar Jahrzehnte gehabt, wo es immer leichter wurde zu reisen.
Felix Jaitner: Der Höhepunkt war die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland.
Felix Jaitner: Aber letztlich ist es ja nicht so, als hätten viele Deutsche die Möglichkeit
Felix Jaitner: gehabt und oder wahrgenommen, mal wirklich Zeit in Russland zu verbringen.
Felix Jaitner: Also man hat so ein eigenes Bild des Landes und dann muss man das in Zweifel
Felix Jaitner: korrigieren oder aber auch sein lassen, wenn man eben das Gefühl bekommt,
Felix Jaitner: hier geht es gar nicht um Russland, sondern das ist so eine innerdeutsche Geschichte,
Felix Jaitner: Umgang mit dem Krieg, mit der eigenen Vergangenheit, mit dem autoritären System,
Felix Jaitner: mit der deutschen Einheit.
Felix Jaitner: Da gibt es vieles, was eigentlich gar nichts mit Russland zu tun hat,
Felix Jaitner: obwohl das Land ständig genannt wird in solchen Unterhaltungen.
Felix Jaitner: Und mein Job ist ja eigentlich, über das real existierende Russland zu sprechen
Felix Jaitner: und das ist einfach eine andere Unterhaltung.
Alexey Yusupov: Über die deutsch-russischen Beziehungen würde ich tatsächlich gerne auch mit
Alexey Yusupov: dir sprechen. Ich würde gerne aber starten mit dem Krieg in der Ukraine,
Alexey Yusupov: der ja inzwischen in sein viertes Jahr geht.
Alexey Yusupov: Und interessant finde ich, dass sich ja der Frontverlauf seit knapp drei Jahren
Alexey Yusupov: eigentlich kaum verändert.
Alexey Yusupov: Also es gibt zwar einen stetigen russischen Vormarsch, aber der ist letztendlich
Alexey Yusupov: relativ begrenzt, was den Raumgewinn angeht.
Alexey Yusupov: Und in diesem Zusammenhang gab es auch lange keine Aussicht auf Friedensverhandlungen.
Alexey Yusupov: Die Ukraine und der Westen haben ja der russischen Regierung immer wieder vorgeworfen,
Alexey Yusupov: sie hätte kein Interesse an Verhandlungen.
Alexey Yusupov: Und spiegelbildlich betont die russische Seite, man sei zu Gesprächen bereit,
Alexey Yusupov: die Gegenseite aber nicht. Das heißt, es gab Stillstand.
Alexey Yusupov: Und seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat sich die Lage zumindest
Alexey Yusupov: dahingehend geändert, dass wieder intensiv gesprochen wird. Es gab ja jetzt
Alexey Yusupov: das jüngste Treffen zwischen Trump und Wladimir Putin am 15.
Alexey Yusupov: August in Alaska und damit auch wieder neue Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Ukraine-Krieges.
Alexey Yusupov: Jetzt wäre meine Frage an dich, welche Forderungen müssten denn aus russischer
Alexey Yusupov: Sicht erfüllt sein, damit ein Friedensobkommen überhaupt Aussicht auf Erfolg hat?
Felix Jaitner: Ich würde gerne noch mit einer anderen Denkfigur starten, die man häufiger auch
Felix Jaitner: im russischen Diskurs vorfindet.
Felix Jaitner: Da wird der Krieg, auch weil er jetzt schon so lange geht, zweigeteilt.
Felix Jaitner: Also es gibt den Angriff 2022 mit einem Ziel eines Regimewechsels,
Felix Jaitner: das wäre das Maximalziel gewesen.
Felix Jaitner: Und ich würde sagen, ein Teil der Antwort auf deine Frage ist,
Felix Jaitner: dass das übergeordnete russische Ziel jetzt in Bezug auf die Ukraine spezifisch
Felix Jaitner: ist, die Ukraine in eine erzwungene Neutralität zu drängen, mindestens.
Felix Jaitner: Und höchstens vielleicht sogar zu einem pro-russischen Regime zu verwandeln
Felix Jaitner: oder die Bedingungen so zu legen, dass es ein pro-russisch geführtes politisches Regime werden kann.
Felix Jaitner: Und wie gesagt, in der russischen Betrachtung hört man immer wieder,
Felix Jaitner: naja, den ersten Krieg 2022 haben wir verloren.
Felix Jaitner: Denn dass es missglückt, die Ukraine bleibt bestehen, ist unabhängig, ist souverän,
Felix Jaitner: nicht territorial in Gänze, aber doch in Fragen der eigenen politischen Entscheidungsfindung,
Felix Jaitner: ist vielleicht sogar gestärkter gesellschaftlich und kulturell als eine Nation.
Felix Jaitner: Nun aber gibt es fast schon einen zweiten Krieg von seinem Modus her,
Felix Jaitner: der eben ein Zermürbungskrieg ist.
Felix Jaitner: Es ist ein Abnutzungskrieg und da
Felix Jaitner: entscheidet nicht mehr der Überraschungseffekt, der 2022 so wichtig war.
Felix Jaitner: Ja, auch gegenüber Russland. Also Wladimir Putin hat ja nicht nur die Ukraine
Felix Jaitner: und den Westen überrascht, sondern auch sein eigenes Land und sein eigenes System.
Felix Jaitner: Jetzt sind keine Überraschungen mehr drin, sondern hier geht es um Skaleneffekte.
Felix Jaitner: Und die Skaleneffekte sind eindeutig zugunsten Russlands ausfallend.
Felix Jaitner: Wenn man sich die Bevölkerung, die Demografie, die Wirtschaft,
Felix Jaitner: alles Mögliche anguckt, muss man sagen, gut, wenn wir uns wirklich nur die Ressourcen
Felix Jaitner: ansehen, hat Russland einfach mehr Reserve in jeder einzelnen Kategorie.
Felix Jaitner: Und diesen Krieg kann Russland gewinnen.
Felix Jaitner: Man weiß vielleicht nicht wann genau, aber den kann man gewinnen und der Pfad
Felix Jaitner: geht nicht über die Gebiete. Also das ist kein Kalkül, wo Moskau genau sagen
Felix Jaitner: kann, wir gewinnen bis da und dahin, aber das scheint der Pfad zu sein.
Felix Jaitner: Und in dieses Denken kommen diese Gespräche hinein und ich würde sagen,
Felix Jaitner: das ist einfach eine zweite Strategie, denn der Krieg ist problematisch für Russland.
Felix Jaitner: Klar, dieses Regime hat überraschenderweise nach einer bewaffneten Meuterei,
Felix Jaitner: nach einem Versuch einer internationalen Isolation,
Felix Jaitner: nach einem präzedenzlosen Massenexodus aus seiner Gesellschaft,
Felix Jaitner: hat dieses Regime trotzdem nach innen eigentlich sich gestärkt gezeigt und das wird auch akzeptiert.
Felix Jaitner: Also es gibt keine organisierte Opposition zu seinem politischen Kurs und die
Felix Jaitner: Duldung ist das, was er benötigt, um weiterzumachen.
Felix Jaitner: Und das bedeutet, Gesprächsoffenheit gegenüber Trump zu zeigen,
Felix Jaitner: kostet den Kreml, stand jetzt nicht viel.
Felix Jaitner: Und gleichzeitig ist es ein denkenden Opportunitätskosten. Das nicht zu machen, wäre nicht rational.
Felix Jaitner: Was, wenn Trump doch Kiew und die europäischen Hauptstädte zu irgendwas zwingen
Felix Jaitner: könnte im Sinne dieser politischen Konzession, im Sinne einer Niederlage einzugestehen?
Felix Jaitner: Wenn nicht, okay, man kann weitermachen.
Felix Jaitner: Wenn doch, dann kürzt es den Pfad zum russischen Sieg ab und minimiert auch die Kosten.
Felix Jaitner: Aber ich würde jetzt auch nicht sagen, es hätte Russland jetzt eine gänzlich
Felix Jaitner: neue Strategie und es würde Russland den Anspruch aufgeben, zu seinen Maximalzielen
Felix Jaitner: gewinnen zu können. Diese Maximalziele sind, eins habe ich genannt, eine andere Ukraine.
Felix Jaitner: Ein zweites Ziel ist sicherlich die Akzeptanz der Annexionen,
Felix Jaitner: wobei hier Spielraum besteht und ich glaube, Moskau ist völlig damit fein,
Felix Jaitner: dass eine vollständige Anerkennung dieser territorialen Eroberung vielleicht nicht drin ist.
Felix Jaitner: Was aber dann Volkers Ziel ist, Demilitarisierung, das finde ich das Schwierigste.
Felix Jaitner: Also hinter diesem Wort versteckt sich eine Idee auf der russischen Seite,
Felix Jaitner: dass man die Ukraine nicht nur neutralisieren sollte, also einen Beitritt zu
Felix Jaitner: NATO verhindern, sondern auch militärisch beschneiden.
Felix Jaitner: Entweder in der Frage, wie viel die ukrainischen Streitkräfte,
Felix Jaitner: wie stark sie sein dürfen, wie zahlenmäßig sie aufgestellt werden dürfen nach
Felix Jaitner: dem Ende des Krieges oder sogar vielleicht eben punkto konkreter Waffentypen,
Felix Jaitner: was soll der Westen der Ukraine liefern dürfen und was nicht.
Felix Jaitner: Und der letzte Punkt ist diese Denazifizierung, die man häufiger hört.
Felix Jaitner: Das ist im Endeffekt ein Anspruch, dass auch die ukrainische Innenpolitik sich verändert.
Felix Jaitner: Also da geht es um Minderheitenrechte, um Sprachpolitik, um das Verhältnis zwischen
Felix Jaitner: dem Staat und der orthodoxen Kirche.
Felix Jaitner: Auch da, das ist glaube ich nicht der springende Punkt, sondern die springenden
Felix Jaitner: Punkte sind letztlich eine ukrainische Mindestens Neutralität und eine ukrainische Demilitarisierung.
Felix Jaitner: Und da sehen wir, hier mache ich einen Punkt, dass wir ja letztlich noch kein
Felix Jaitner: Modell sehen, wie das zu vereinen wäre mit den Interessen und Positionen der Ukraine und Europas.
Felix Jaitner: Daher, Gespräche sind gut, bedeutet aber überhaupt nicht, dass sie irgendwie
Felix Jaitner: schnell zu Ergebnissen führen.
Alexey Yusupov: Ja, ich finde das einen interessanten Blick auf die russischen Forderungen.
Alexey Yusupov: Also ich wiederhole einfach nochmal, beschränkte Souveränität der Ukraine heißt ja immer auch,
Alexey Yusupov: ein russischer Einfluss, ein russisches Machtwort letztendlich auf außenpolitische
Alexey Yusupov: Entscheidungen der Ukraine, auch ukrainische geopolitische Orientierung.
Alexey Yusupov: Dann Demilitarisierung, das heißt eine Begrenzung des militärischen Potenzials
Alexey Yusupov: der Ukraine und auch sehr interessant, einen Punkt auf die Denazifizierung zu
Alexey Yusupov: schauen, mehr sozusagen im Sinne, die ukrainische Innenpolitik verändern zu wollen.
Alexey Yusupov: Interessant finde ich ja, dass bei der Lösung des Konfliktes internationale
Alexey Yusupov: Organisationen wie die UN oder die USZE, die ja extra für Konfliktbearbeitung
Alexey Yusupov: oder Vermeidung geschaffen worden sind, eigentlich keine Rolle spielen.
Alexey Yusupov: Und das gegenwärtige Verhandlungsformat zwischen den USA und Russland ist eines
Alexey Yusupov: zwischen den Großmächten.
Alexey Yusupov: Sogar die europäischen Verbündeten sind ja eher in der Rolle des Umsetzenden,
Alexey Yusupov: der dann zu entscheidenden Punkte im Verhandlungsabkommen.
Alexey Yusupov: Das heißt, sie haben auch eine starke passive Rolle.
Alexey Yusupov: Die Ukraine ist ja dann in erster Linie Verhandlungsmasse. Jetzt wäre meine
Alexey Yusupov: Frage an dich, kann unter solchen Bedingungen eigentlich ein nachhaltiger und
Alexey Yusupov: stabiler Friedensschluss erreicht werden?
Felix Jaitner: Man hat bisweilen den Eindruck, als würde Moskau wirklich daran glauben,
Felix Jaitner: dass der Westen genauso funktioniert.
Felix Jaitner: Es ist ein zynischer Blick auf Politik, aber der letztlich ja aussagt,
Felix Jaitner: wenn Washington nur wollte, dann könnten sie sowohl die Europäer als auch die
Felix Jaitner: Ukrainer zu Konzessionen eben zwingen.
Felix Jaitner: Also klügere Köpfe in Moskau wissen, dass das nicht nur eine Frage des Wollens ist,
Felix Jaitner: sondern auch eine Frage des institutionellen Aufbaus und dass Deals mit Donald
Felix Jaitner: Trump, die aber an der Umsetzung durch die Europäer scheitern könnten,
Felix Jaitner: nicht sehr viel wert sind.
Felix Jaitner: Und deswegen glaube ich schon, dass wir einen Übergang sehen werden von dieser
Felix Jaitner: anfänglichen Geometrie, wo es so scheint, als wäre es nur ein Tisch,
Felix Jaitner: an dem die Großmächte sitzen, zu anderen Formaten.
Felix Jaitner: Vielleicht braucht man das jetzt bei den Vorgesprächen, vielleicht braucht man
Felix Jaitner: das beim Übergang aus dem rein militärischen Teil des Konflikts in einen,
Felix Jaitner: wo es auch Gespräche gibt.
Felix Jaitner: Ich glaube, alle Seiten wissen, und wir sehen ja von der amerikanischen Seite
Felix Jaitner: auch, diese Ernüchterung darüber, dass das reine Hebammentum,
Felix Jaitner: also das reine, wir laden alle ein und dann müsst ihr schon selbst gucken, wie es weitergeht.
Felix Jaitner: Das funktioniert nicht, sondern man muss...
Felix Jaitner: Über die gesamte Zeit der Gespräche alle beteiligten Parteien auf die eine oder
Felix Jaitner: andere weit zu den Gesprächen hinzufügen und sie daran beteiligen.
Felix Jaitner: Denn die Qualität des Endabkommens hängt entscheidend davon ab,
Felix Jaitner: wie viel Autorenschaft, Urheberschaft die betroffenen Seiten daran haben.
Felix Jaitner: Und ich glaube, dass das auch auf der russischen Seite verstanden wird.
Felix Jaitner: In der nächsten Phase, wenn diese Vorgespräche zu irgendwas führen sollten,
Felix Jaitner: was ich nicht weiß, aber wenn es denn gelingt, stelle ich mir ein System,
Felix Jaitner: in dem die russisch-ukrainischen Belange bilateral besprochen werden,
Felix Jaitner: was ja teilweise schon funktioniert.
Felix Jaitner: Eine europäische kontinentale Sicherheitskonferenz
Felix Jaitner: und ein globales US-amerikanisch-russisch-chinesisches
Felix Jaitner: Format zur Abrüstung und Entspannung.
Felix Jaitner: Und du hast insofern recht, als dass die Ebenen natürlich aufeinander immer
Felix Jaitner: einwirken und Probleme an einer Ebene können zu Problemen an anderer Ebene führen.
Felix Jaitner: Aber es gibt keinen anderen Weg,
Felix Jaitner: als dass diese unterschiedlichen Dinge unterschiedlich bearbeitet werden.
Felix Jaitner: Deswegen bin ich auch immer betrübt, wenn ich höre von europäischen,
Felix Jaitner: von westlichen Akteuren, unsere Russland-Politik ist unsere Ukraine-Politik.
Felix Jaitner: Das ist gut als Formulierung für Mobilisierung der Solidarität und ein gutes Signal an Kiew.
Felix Jaitner: Aber analytisch ist es falsch, weil das ist eben eine andere Ebene,
Felix Jaitner: auf die wir irgendwann hin müssen.
Felix Jaitner: Und nur wenn es diese Ebene gibt, kann man auch vorankommen bei dem Kernanliegen,
Felix Jaitner: nämlich wie sichern wir der Ukraine eine gute Zukunft in der Situation,
Felix Jaitner: in die wir gekommen sind.
Felix Jaitner: Und vielleicht ein letzter Gedanke dazu auch, wie werden die europäische Sicherheitsordnung.
Felix Jaitner: Die werden wir nicht wiederherstellen, es sei denn, Russland wird militärisch besiegt.
Felix Jaitner: Und aus der recht engen russisch-chinesischen, ich will sie nicht Allianz nennen,
Felix Jaitner: weil es ist meines Erachtens keine, aber dann doch Freundschaft,
Felix Jaitner: Unterstützungsbeziehung, wissen wir,
Felix Jaitner: China wird eine militärische Niederlage seines größten Nachbars wahrscheinlich nicht akzeptieren.
Felix Jaitner: Das bedeutet, der Weg zum Status quo ante ist für uns als Europäer versperrt.
Felix Jaitner: Und irgendwann müssen wir damit beginnen, uns Gedanken zu machen über einen
Felix Jaitner: neuen Status, der trotzdem unseren Interessen entspricht, der Regeln beinhalte,
Felix Jaitner: die eingehalten werden.
Felix Jaitner: Aber es werden wahrscheinlich andere Regeln sein müssen, weil wir eben zu den
Felix Jaitner: alten nicht zurückkommen.
Felix Jaitner: Und das ist die Antwort auf deine Frage, wo die OSZE ist. Die OSZE ist natürlich
Felix Jaitner: das Kind dieser alten Ordnung.
Felix Jaitner: Das heißt nicht, dass sie völlig unnütz ist, überhaupt nicht.
Felix Jaitner: Und jetzt zum Beispiel bei der großen Militärmanöver Zappert,
Felix Jaitner: was regelmäßig in Belarus und in Russland passiert, wissen wir zum Beispiel,
Felix Jaitner: dass belarussische Behörden über ein OSZE-Mechanismus, der sogenannte Wiener Dokument,
Felix Jaitner: Informationen teilen über die Bewegungen der Truppen, sogar NATO-Beobachter nach Belarus einladen.
Felix Jaitner: Also es ist ja nicht tot, da sind schon noch Teile, die super wichtig sind und
Felix Jaitner: sehr funktional, aber es wird nicht so sein, die Kampfhandlungen enden und am
Felix Jaitner: nächsten Tag übernimmt die OSZE und dann ist alles wieder gut.
Felix Jaitner: Diese Zukunft wird es einfach nicht geben.
Alexey Yusupov: Könntest du an dieser Stelle trotzdem schon mal versuchen zu skizzieren,
Alexey Yusupov: welche Form der neuen europäischen Sicherheitsarchitektur sich denn herausbilden
Alexey Yusupov: könnte als wahrscheinlichstes Szenario?
Alexey Yusupov: Denn die drei Verhandlungsformate, die du aufgeführt hast,
Alexey Yusupov: also erstens bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland,
Alexey Yusupov: zweitens Verhandlungen zwischen Russland und den europäischen Ländern über eine
Alexey Yusupov: neue Form der Sicherheitsarchitektur und drittens ein Verhandlungsformat,
Alexey Yusupov: das Fragen der nuklearen Abrüstung in den Blick nimmt, nämlich China,
Alexey Yusupov: USA und Russland.
Alexey Yusupov: Das wäre natürlich ein Idealfall.
Alexey Yusupov: Das würde aber auch, glaube ich, ein starkes Umdenken der politischen Köpfe
Alexey Yusupov: überall auf der Welt erfordern, nämlich ein Denken über die sich immer stärker
Alexey Yusupov: verfestigende Lagerbildung hinaus, oder?
Alexey Yusupov: Also die chinesische Regierung haben jetzt erst jüngst angekündigt,
Alexey Yusupov: dass sie kein Interesse haben an Verhandlungen über eine Reduktion ihres nuklearen
Alexey Yusupov: Potenzials, weil sie, und ja auch nicht ganz zu Unrecht sagen,
Alexey Yusupov: die Nuklearsprengköpfe, über die die Russen und die USA verfügen,
Alexey Yusupov: ist so viel höher, dass sie keinen Bedarf sehen an Verhandlungen.
Felix Jaitner: Felix, es ist mir wichtig, nochmal hier die Zeitachsen klar zu machen.
Felix Jaitner: Also mein Punkt, dass wir kein Ende der Gewalt und ein danach einsetzendes,
Felix Jaitner: schnelles Design einer neuen Ordnung bekommen werden, heißt umgedreht,
Felix Jaitner: dass wir hier eigentlich über Verhandlungen sprechen, die Jahre dauern dürften.
Felix Jaitner: Und der chinesische Punkt, dass das nicht in ihrem Interesse ist,
Felix Jaitner: jetzt schon zu regulieren, während sie noch im Aufwuchs wird,
Felix Jaitner: ich glaube, der wird auch von allen Seiten geteilt und gesehen.
Felix Jaitner: Und wenn ich Fachleute richtig verstehe, ich bin keiner für Abrüstung und Rüstungskontrolle
Felix Jaitner: und Atomwaffen, aber wenn ich sie richtig verstehe, dann rechnet man damit,
Felix Jaitner: dass man bis Mitte der 30er Jahre des laufenden Jahrhunderts sowieso wird warten müssen,
Felix Jaitner: bis die Volksrepublik tatsächlich in Parität sich selbst wahrnimmt zu den beiden
Felix Jaitner: anderen großen Nuklearmächten der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten.
Felix Jaitner: Und dann das Interesse wechselt von einem Aufwuchs zu Stabilisierung und Kontrolle.
Felix Jaitner: Wir müssen uns einfach vor Augen halten, wir sind eine Region in dieser Hinsicht.
Felix Jaitner: Also seit wie langer Zeit redet man vom Aufstieg anderer Weltregionen und vom
Felix Jaitner: relativen Abstieg Europas? Jetzt sind wir mittendrin.
Felix Jaitner: So fühlt sich das an. Und unsere regionale Agenda würde davon profitieren,
Felix Jaitner: wenn beide Seiten, die russische und die amerikanische, sagen,
Felix Jaitner: okay, die Stationierung vor allem von Langstreckensystemen, nicht nur nuklearer Art,
Felix Jaitner: sondern die geplante Stationierung seit 2026 in Deutschland von diesem Dark
Felix Jaitner: Eagle System und anderen neuen Systemen, wird pausiert oder überdacht oder aufeinander abgestimmt.
Felix Jaitner: Das wäre die höchste Ebene.
Felix Jaitner: Sie würde aber sehr wichtige formative Signale senden auf die zweite Ebene,
Felix Jaitner: auf die Regionale, wo es um die europäische Sicherheitsarchitektur geht.
Felix Jaitner: Mir geht es auch darum, dass wir irgendwann als Europäer einen Sonderbevormächtigen,
Felix Jaitner: einen Chefverhandler für diese Sicherheitsarchitektur benennen müssen.
Felix Jaitner: Und es kann sein, dass er dann erstmal drei Jahre gar nichts zu melden hat als Erfolge.
Felix Jaitner: Aber wir zeigen, wir haben verstanden, in welche Richtung es geht.
Felix Jaitner: Und hier ist eine Person oder ein Stab oder ein Land. Man kann das ganz unterschiedlich
Felix Jaitner: gestalten, auch im Sinne des Mehrheitsentscheids der Europäischen Union.
Felix Jaitner: Und Europa möchte mit einer Stimme sprechen, um seinen Platz in der Welt nicht
Felix Jaitner: nur geoökonomisch, sondern auch geopolitisch zu behaupten, dass man sagt, ja,
Felix Jaitner: okay, das geht nicht nur um die russisch-ukrainische Stabilisierung,
Felix Jaitner: es geht auch um diese andere Ebene.
Felix Jaitner: Und in der dritten Ebene, in der eigentlich russisch-ukrainischen Frage,
Felix Jaitner: fürchte ich, da bin ich kein Ukraine-Experte, überhaupt nicht,
Felix Jaitner: aber fürchte ich, dass es sehr darauf ankommt, eben.
Felix Jaitner: Wie kann diese Gesellschaft, das ist eine offene Gesellschaft.
Felix Jaitner: Sie ist letztlich eben diejenige, an der das Umsetzen von egal welchem Abkommen hängen wird.
Felix Jaitner: Also Russland hat nicht das Problem, dass Putin seine Deals letztlich und seine
Felix Jaitner: Erfolge als solche erstmal abstimmen lassen muss in der Bevölkerung,
Felix Jaitner: sondern die werden als solche postuliert und verkauft und wer damit nicht einverstanden
Felix Jaitner: wird, kommt ins Gefängnis.
Felix Jaitner: Es gibt übrigens brandneue Zensurgesetze, die ab dem 1.
Felix Jaitner: September greifen und es geht da nicht mehr um irgendwelche liberalen Oppositionellen,
Felix Jaitner: sondern es geht um die Ultrapatrioten.
Felix Jaitner: Der Kreml bereitet sich aktiv darauf vor, eine Deutschstoßlegende zu verhindern,
Felix Jaitner: die in Stünde, wenn er doch frühzeitiger aus dem Krieg aussteigt,
Felix Jaitner: als sich diese Ultrapatrioten wünschen.
Felix Jaitner: Wenn keine weiteren territorialen großer Folge zu vermelden sind,
Felix Jaitner: wenn Kiew nie eingenommen wird.
Felix Jaitner: Da gibt es ja wirklich in der Gesellschaft einen großen Teil,
Felix Jaitner: nicht die Mehrheit, aber doch einen signifikanten Teil, der das als Verrat an
Felix Jaitner: großrussischen Zielen sehen würde. Also der Kreml lässt sich alle Optionen offen.
Felix Jaitner: In Kiew ist es wohl so, da gibt es einen pragmatischen Blick darauf,
Felix Jaitner: man kann diesen Krieg, so wie er jetzt geführt wird, gegen dieses Russland nicht gewinnen.
Felix Jaitner: Also der Glaube an einen Black Swan, dass irgendwas in Russland passiert und
Felix Jaitner: das wie ein Kartenhäuschen dann kollabiert, ist, glaube ich, weg.
Felix Jaitner: Das halte ich für gut und gesund, weil der schon immer nicht so richtig begründet
Felix Jaitner: war, sondern ein Teil dieser Wunschstrategie, man destabilisiert Russland und
Felix Jaitner: dann kann der kleinere Akteur gewinnen.
Felix Jaitner: Und das bedeutet für mich, dass es letztlich an Zelensky, an der ukrainischen
Felix Jaitner: Regierung, an seiner Bevölkerung, an seinen Wählern hängen wird,
Felix Jaitner: zu sagen, was ist eine akzeptable Niederlage.
Felix Jaitner: Und früher übrigens hätten wir ja gedacht, eine demokratische Regierung kann
Felix Jaitner: so eine Niederlage gar nicht verkraften, um an der Macht zu bleiben.
Felix Jaitner: Wir haben das Beispiel Armenien, wo das passiert ist, wo Premierminister Pashinyan
Felix Jaitner: immer noch nach klar als Niederlage, benannten Niederlage, das Land regiert
Felix Jaitner: und vielleicht ist die Ukraine auch ein Land,
Felix Jaitner: das seiner Bevölkerung schwierige, tragische,
Felix Jaitner: sehr komplexe Zugeständnisse abverlangen können muss.
Felix Jaitner: Und vielleicht ist es einfach, was wir in Deutschland so ein bisschen nicht
Felix Jaitner: verstehen, Menschen verstehen, wie komplex Dinge sind.
Felix Jaitner: Sie verstehen die Abwägungen, sie verstehen, dass die Fortführung des Krieges
Felix Jaitner: bedeuten wird, dass mehr Menschen sterben, dass der Wiederaufbau länger dauern
Felix Jaitner: wird, kostspieliger wird.
Felix Jaitner: Sie verstehen den demografischen Preis. Übrigens, die Ukraine hat ja jetzt erlaubt,
Felix Jaitner: dass junge Männer das Land verlassen dürfen.
Felix Jaitner: Also offensichtlich machen sie sich auch Gedanken um ihre Ausbildung,
Felix Jaitner: um ihre Zukunft, um ihre Lebensplanung. Es geht nicht mehr nur um diesen Krieg.
Felix Jaitner: Das war dieser erste kurze Krieg, wo es um alles ging.
Felix Jaitner: Wir sind jetzt in diesem zweiten anderen und deswegen ist das Ende des Krieges
Felix Jaitner: auch im ukrainischen Interesse.
Felix Jaitner: Leider aber eben nicht unbedingt eine Garantie dafür, dass es der letzte sein wird.
Music:
Alexey Yusupov: Du hast jetzt verschiedene Punkte angesprochen. Also zum einen finde ich ja
Alexey Yusupov: sehr interessant, den Ukraine-Krieg auch nochmal als Ausdruck der sich auch
Alexey Yusupov: in Europa immer deutlicher vollziehenden multipolaren Umbrüche zu sehen.
Alexey Yusupov: Und in dem Zusammenhang hast du ja bereits auch den post-sowjetischen Raum benannt,
Alexey Yusupov: also Armenien, das Verhältnis zu Aserbaidschan.
Alexey Yusupov: Denn Russland betrachtet den post-sowjetischen Raum ja immer noch als die eigene
Alexey Yusupov: Einflusssphäre und auch als Mittel, um auf internationaler Ebene als Großmacht agieren zu können.
Alexey Yusupov: Und vor dem Hintergrund des Ukraine-Konfliktes sehen wir, dass die russische
Alexey Yusupov: Hegemonie in der Region weiter erodiert und hat Aserbaidschan genau zu dem Zeitpunkt
Alexey Yusupov: die letzten Reste von Bergkarabach zurückerobert,
Alexey Yusupov: als sich militärisch die Front in der Ukraine zu Ungunsten Russlands entwickelt hat.
Alexey Yusupov: Wenn wir uns ansehen, dass das Friedensabkommen jetzt diesen Sommer von Donald
Alexey Yusupov: Trump vermittelt worden ist, ohne russische Beteiligung, ist auch das ein Ausdruck
Alexey Yusupov: einer abnehmenden russischen Hegemonie.
Alexey Yusupov: Und wenn wir nach Zentralasien schauen, auch da sehen wir ja eine zunehmende
Alexey Yusupov: politische und ökonomische Dominanz Chinas.
Alexey Yusupov: Wie ist denn der russische Blick auf den post-sowjetischen Raum vor dem Hintergrund
Alexey Yusupov: der von dir skizzierten Umbrüche und auch sozusagen der Veränderung,
Alexey Yusupov: die ja der Krieg mit der Ukraine langfristig mit sich bringt oder auch jetzt
Alexey Yusupov: schon deutlich sichtbar hat?
Felix Jaitner: Ich würde sogar zuspitzen. Ich würde sagen, in der Außenpolitik verzeichnet
Felix Jaitner: Russland in aller seiner Einfluss-Subregionen, also im baltischen Raum,
Felix Jaitner: wo die Ostsee nun NATO-Meer geworden ist, im arktischen Raum,
Felix Jaitner: wo sozusagen eine Militarisierung an der Türschwelle ist und auch der arktische
Felix Jaitner: Rat ein Gremium ist, was früher sehr viel konstruktiver war aus russischer Sicht.
Felix Jaitner: Im osteuropäischen Raum ist es klar, dass wir in Moldau und der Ukraine nicht
Felix Jaitner: mehr die Länder haben, die sich soften Einflussinstrumenten fügen werden.
Felix Jaitner: Man muss immer dazu sagen, der Krieg war ja das letzte Mittel.
Felix Jaitner: Russland hat ja nicht seit gestern, vorgestern, auch nicht seit 2014 versucht,
Felix Jaitner: die Ukraine zu beeinflussen.
Felix Jaitner: Mit Bestechungen, mit Einflussnahmen, mit eigenen politischen Akteuren in der
Felix Jaitner: Innenpolitik, mit Gas-Erpressung.
Felix Jaitner: Man darf ja nicht vergessen, so die gesamte Nord Stream-Geschichte basierte
Felix Jaitner: ja damals noch auf beidseitigem, sogar mehrseitigem Anverständnis.
Felix Jaitner: Weil bei Nord Stream 1 war Polen noch zustimmend dabei, zu sagen,
Felix Jaitner: okay, dieser russisch-ukrainische Gasstreit, das ist irgendwie deren bilaterale
Felix Jaitner: Problematik. Wir wollen sie nicht europäisieren.
Felix Jaitner: Russland hat den Krieg als letztes Mittel gezückt, weil andere nicht funktioniert
Felix Jaitner: haben. Und bei diesen anderen Ländern sehen wir, dass die eben auf dieselbe
Felix Jaitner: Eskalationsleiter gehen, bewährte Instrumente funktionieren schlechter.
Felix Jaitner: Bei Aserbaidschan ist sie sehr, sehr deutlich.
Felix Jaitner: Präsident Aliyev hat jetzt neulich 1920 den sowjetischen Einmarsch in Aserbaidschan
Felix Jaitner: als eine Art Eroberung bezeichnet. Also passiert auch erinnerungspolitisch sehr viel.
Felix Jaitner: Armenien muss sich klar machen, dass die Bündnisbeziehungen,
Felix Jaitner: die es mit Russland hat, innerhalb der Organisation des Vertrages zur kollektiven
Felix Jaitner: Sicherheit, des russischen Quasi-Pendants zu NATO, nicht wirklich seine Interessen durchsetzen kann.
Felix Jaitner: Dass das eben in der Zollunion mit Russland hängt, das wirtschaftliche Pfade nach Europa versperrt.
Felix Jaitner: Wir haben ein zentralasiatisches Gefüge, in dem die chinesische wirtschaftliche
Felix Jaitner: Präsenz immer deutlicher wird und überhaupt nicht mehr konkurrenzfähig für Russland.
Felix Jaitner: Ich könnte Syrien anfügen, das ist das Prestigeprojekt von Vladimir Putin.
Felix Jaitner: Ich könnte den Iran anfügen, der jetzt auch bis knapp an die Grenze eines politischen
Felix Jaitner: Kollaps geführt worden ist in einer direkten Konfrontation mit Israel und den Vereinigten Staaten.
Felix Jaitner: Also es gibt Probleme in Mali, die Wagner-Truppen als Söldner-Angebot an viele
Felix Jaitner: Abnehmerregime sind nicht mehr da, so wie sie waren nach der Wagner-Meuterei.
Felix Jaitner: Also es gibt einfach extrem viele auslandpolitische Niederlagen,
Felix Jaitner: die eigentlich gegengerechnet werden müssten.
Felix Jaitner: Gegen die Erfolge im russisch-ukrainischen Krieg. Und das ist,
Felix Jaitner: glaube ich, eine Frage, mit der sich viele im politischen Moskau herumtragen
Felix Jaitner: und auch die Fragen nach der irgendwann anstehenden Bilanz von Wladimir Putins
Felix Jaitner: geopolitischer Strategie.
Felix Jaitner: Und offensichtlich ist er ja schon auch versessen auf die Ukraine.
Felix Jaitner: Also es ist ja nicht irgendein Land, es ist nicht irgendeine sowjetische Ex-Republik,
Felix Jaitner: sondern es ist erkennbar an seinen Reden, an diesen Schriftstücken,
Felix Jaitner: an den bisherigen Versuchen der Einflussnahme.
Felix Jaitner: Es ist das Kronjuwel, da ist es schon sehr imperial, das Denken.
Felix Jaitner: Ein Großrussland ohne die Ukraine ist keins. Das kann auch die anderen Regionen
Felix Jaitner: zwar beherrschen oder beeinflussen, aber das ist schon etwas,
Felix Jaitner: was in der eigenen Logik die Wiedergutmachung der sowjetischen Zerfallsschmach wäre,
Felix Jaitner: eine neutrale oder sogar befreundete Ukraine, und zwar langfristig abgesichert.
Felix Jaitner: Also da nochmal zurück zu der Frage zu kommen, was sehen wir in Moskau?
Felix Jaitner: Also wir sehen das Verschweigen dieser Kosten und wir sehen auf der anderen
Felix Jaitner: Seite den Versuch einer globaleren Legitimierung mit Ländern des globalen Südens.
Felix Jaitner: Und zwar versucht Russland, sich hier in so eine gemischte Rolle zu inszenieren.
Felix Jaitner: Einerseits versuchen sie, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als
Felix Jaitner: einen postkolonialen Krieg zu framen und damit das sowjetische Erbe wieder geltend
Felix Jaitner: zu machen, als würden sie gegen kapitalistische,
Felix Jaitner: kolonisatorische Kräfte kämpfen und damit Anschlüsse zu suchen zu BRICS,
Felix Jaitner: zu afrikanischen Ländern, zu lateinamerikanischen Ländern, die alle ihre eigenen
Felix Jaitner: anti-amerikanischen Ressentiments haben.
Felix Jaitner: Das gelingt zum Teil medial. Ich frage mich immer, ob das dann wirklich auch
Felix Jaitner: trägt darüber hinaus, in wirtschaftlicher Hinsicht, in politischer Hinsicht
Felix Jaitner: bei UN-Abstimmungen, die dann auch irgendwann für Russland wichtig werden könnten.
Felix Jaitner: Und auf der anderen Seite gibt es diesen Anspruch.
Felix Jaitner: Das Sprachrohr der globalen Mehrheit zu sein.
Felix Jaitner: Das ist teilweise eben die BRICS-Rhetorik, zu sagen, bevölkerungsmäßig sind
Felix Jaitner: die nicht westlichen Länder,
Felix Jaitner: die eben im institutionellen Gefüge der UN und anderer Organisationen benachteiligt
Felix Jaitner: sind, sie sind eigentlich mehr und die multipolare Welt, von der Putin oft und
Felix Jaitner: gerne spricht oder manchmal auch schreibt,
Felix Jaitner: und in dieser multipolaren Welt kämpft sein Russland, glaube ich,
Felix Jaitner: in seinem Bild um einen Platz in der ersten Reihe.
Felix Jaitner: Also für mich ist die Geschichte dieser russisch-westlichen Konfrontation die
Felix Jaitner: Geschichte eines politischen und wirtschaftlichen Systems, das im Abstieg begriffen
Felix Jaitner: ist, das seine Entwicklungsversprechen nicht mehr einlöst.
Felix Jaitner: Deswegen fehlt auch die russische Softpower in diesen post-sowjetischen Regionen.
Felix Jaitner: Erst letzte Woche hatten wir die
Felix Jaitner: Nachricht, dass Kasachstan beim BEP-Pro-COP-Wert Russland überholt hat.
Felix Jaitner: Also es ist nicht mehr das eindeutige nachahmungswerte Modell.
Felix Jaitner: Und auch seine innenpolitischen Wachstumsversprechen hat Vladimir Putin eigentlich kassiert.
Felix Jaitner: Also Portugal zu überholen beim BIP pro Cop-Wert, der russischen Bevölkerung
Felix Jaitner: zu versprechen, dass ihre Kinder besser leben werden als die jetzige Generation.
Felix Jaitner: Angesichts des Krieges und der Kosten ist die Beibehaltung des Status Quo ein
Felix Jaitner: riesiger Erfolg. Aber ein Wachstumsmodell ist da ja nicht mehr zu erkennen.
Felix Jaitner: Und ich glaube, die Konvertierung der bestehenden Machtressourcen.
Felix Jaitner: Nuklearwaffen, großer militärischer Kapazitäten, großer militärisch-industrieller
Felix Jaitner: Kapazitäten, in einen besseren Platz in dieser vermeintlich oder auch tatsächlich
Felix Jaitner: aufkommenden neuen, multipolaren Welt. Das ist das, was Putin macht.
Felix Jaitner: Und da ist es verkraftbar, wenn Armenien, Aserbaidschan und Finnland ist nicht
Felix Jaitner: mehr neutral und in Kasachstan mehren sich chinesische Pläne,
Felix Jaitner: dann ist es verkraftbar.
Alexey Yusupov: Russland kämpft, um das mit meinen Worten wiederzugeben, einen Platz als Großmacht
Alexey Yusupov: in der sich verändernden, multipolaren Welt, tut es aber aus einer Position der Schwäche.
Alexey Yusupov: Diese außenpolitische Sicht würde
Alexey Yusupov: ich jetzt gerne kontrastieren mit der Entwicklung in Russland, die ja,
Alexey Yusupov: zumindest wenn wir die Berichterstattung hierzulande in Deutschland und im Westen
Alexey Yusupov: generell uns ansehen, überdeckt wird von dem allgegenwärtigen Fokus auf die
Alexey Yusupov: Person Wladimir Putins.
Alexey Yusupov: Ich finde das deshalb problematisch, weil das häufig den Blick auf die Frage
Alexey Yusupov: verstellt, welches System oder welche Machtverhältnisse Putin eigentlich repräsentiert.
Alexey Yusupov: Und ich würde mit dir gerne über das politische System in Russland zu Beginn sprechen.
Alexey Yusupov: Also sowohl liberalen Diskursen als auch unter Linken gilt Russland hier häufig
Alexey Yusupov: als Vorreiter des globalen Rechtsrucks.
Alexey Yusupov: Und das wird zum einen damit begründet, dass es seit den Massenprotesten 2012
Alexey Yusupov: in Russland eine deutliche Rechtsentwicklung, sowohl rhetorisch als auch innenpolitisch gegeben hat.
Alexey Yusupov: Es wird auch damit begründet, dass die russische Regierung, aber auch die Staatspartei
Alexey Yusupov: einiges Russlands sehr enge Beziehungen unterhält zu einigen europäischen Rechtsparteien bzw.
Alexey Yusupov: Auch unterhalten hat. Also die österreichische FPÖ wäre hier zu nennen,
Alexey Yusupov: die französische Rassemblement National, aber natürlich auch die AfD.
Alexey Yusupov: Und meine Frage wäre, es gibt politisch sehr unterschiedlich beheimatete Intellektuelle
Alexey Yusupov: wie den US-Historiker Timothy Snyder,
Alexey Yusupov: auch linke russische Akteure, Politologen wie Grigori Judin,
Alexey Yusupov: die sich darin einig sind, dass Russland in einem Prozess der Faschisierung sich befinden würde.
Alexey Yusupov: Was denkst du denn, ist Russland ein faschistisches Regime?
Felix Jaitner: Ich denke, bei Verwendung solcher Begriffe, die so eine lange Geschichte haben
Felix Jaitner: und auch sehr emotional und politisch mobilisieren, vor allem ja die Gegner
Felix Jaitner: einer Faschisierung auf den Plan rufen,
Felix Jaitner: muss man sich immer so eine Abwägung vornehmen, erklärt der Begriff mehr,
Felix Jaitner: als er verschleiert und für mich...
Felix Jaitner: Tut es der Begriff Faschismus in Anwendung auf das heutige Russland nicht.
Felix Jaitner: Ich finde, das verschleiert mehr, als es erklärt. Und die zwei Punkte,
Felix Jaitner: die mich zu dieser Überzeugung bringen, ist der eine, das ist eine Gesellschaft
Felix Jaitner: mit extrem losen sozialen, horizontalen Beziehungen.
Felix Jaitner: Sie hat wenig Gesellschaft, nicht mal Zivilgesellschaft, sondern wenig Gesellschaft.
Felix Jaitner: Das ist räumlich begründet.
Felix Jaitner: Diese imperiale Ausdehnung hat ja auch dazu geführt, dass Russland viele nebeneinander
Felix Jaitner: existierende Gesellschaften hat auf dem eigenen Staatsgebiet,
Felix Jaitner: die nur lose verbunden sind.
Felix Jaitner: Und übrigens, wir gucken uns immer wieder gerne den Zustand der russischen Eisenbahn
Felix Jaitner: an, weil meiner Meinung nach ist es die einzige nationale Institution,
Felix Jaitner: die für den Austausch zwischen diesen Gesellschaften sorgt, vor allem für Menschen,
Felix Jaitner: die sich auch Inlandsflüge nicht
Felix Jaitner: leisten können, sondern eben regelmäßig intraregionale Reisen vornehmen.
Felix Jaitner: Also ich finde, eine Faschisierung müsste ja bedeuten, dass die Faschos,
Felix Jaitner: also das ursprünglich romische, metaphorische Bild einer Gesellschaft,
Felix Jaitner: die zusammensteht, die zusammenbindet, wo man Dinge zusammen tut,
Felix Jaitner: mir fehlt das in Russland.
Felix Jaitner: Also ich erkenne keine kollektiven Handlungen, ich erkenne keine Solidarisierung.
Felix Jaitner: Auch keine rechte oder patriotische oder faschistische Solidarisierung und ich
Felix Jaitner: erkenne jetzt nicht die Verdichtung von horizontalen sozialen Beziehungen.
Felix Jaitner: Ganz im Gegenteil, ich stelle fest, Russland war sowieso davon geprägt,
Felix Jaitner: dass der Anschluss an den modernen Kapitalismus dazu geführt hat,
Felix Jaitner: dass soziale Beziehungen noch rarer, noch brüchiger geworden sind.
Felix Jaitner: Und ich stelle fest, der Krieg hat das noch mehr befördert, weil er Dinge nochmal
Felix Jaitner: revitalisiert hat aus der sowjetischen Vergangenheit, die mit Denunziantentum zu tun haben,
Felix Jaitner: mit Double Speak, mit Doppelsprech, wo man das eine sagt, weil man weiß,
Felix Jaitner: das ist das erwünschte Verhalten und dann verheimlicht man seine eigentliche Meinung.
Felix Jaitner: Also viele Dinge, die auch gelernt sind und deswegen ist es nicht schwer,
Felix Jaitner: die jetzt zu reaktivieren. So lange her ist es nicht.
Felix Jaitner: Aber die lässt sich dagegen sprechen, zu behaupten, das ist eine Gesellschaft,
Felix Jaitner: die in Reihenglied marschiert zur Erreichung irgendwelcher transzendenter Ziele.
Felix Jaitner: Die Politik und die Strategie des Kremls ist vor allem auch eine Demobilisierungsstrategie.
Felix Jaitner: Also der Kreml möchte ja gar nicht, dass die russische Bevölkerung wirklich
Felix Jaitner: jetzt sich nach dem Dienstschluss für den Krieg engagiert.
Felix Jaitner: Ja, wir sehen viele Instrumente, die so tun, als will das Regime das.
Felix Jaitner: Auch Propaganda-Intensivierung in den Schulen und mittlerweile sogar in den Kindergärten.
Felix Jaitner: Da gibt es viel, was man so deuten könnte. Aber letztlich, wenn ich auf die
Felix Jaitner: repressiven Instrumente schaue, die extrem zugespitzt worden sind nach dem großen
Felix Jaitner: Kriegsbeginn, die setzen darauf, Regeln zu verwischen.
Felix Jaitner: Die setzen darauf, Menschen in Unklarheit darüber zu lassen,
Felix Jaitner: was erlaubt ist und was nicht. Die russischen Repressionen entwickeln sich so,
Felix Jaitner: dass sie weniger Menschen betreffen, dafür jeweils drakonischer sie bestrafen.
Felix Jaitner: Und das ist eine sehr kosteneffektive Strategie, Angst und Unklarheit zu verbreiten,
Felix Jaitner: damit die Leute schön zu Hause bleiben und das auch noch mit ihrem konsumeristischen
Felix Jaitner: Leben verbinden können.
Felix Jaitner: Die Parallelimporte, die Abrechnungen in anderen Währungen, die Handelsbeziehungen
Felix Jaitner: mit China, mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit der Türkei.
Felix Jaitner: Also das Leben eines nicht politischen Menschen in Russland hat sich nicht geändert seit 2022.
Felix Jaitner: Und das möchte der Kreml erst gar nicht tun. Er möchte keine Mobilisierung der Gesellschaft,
Felix Jaitner: weil sie Risiken birgt, weil die eigene Politik gegenüber der Bevölkerung voller
Felix Jaitner: Widersprüche ist und nur weitergeführt werden kann, wenn nur ein kleiner Teil
Felix Jaitner: politisiert ist und der größere Teil ist depolitisiert.
Felix Jaitner: Und diese zwei Betrachtungsweisen sind für mich gute Belege dafür,
Felix Jaitner: dass das moderne Russland kein faschistisches System ist, im klassischen Verständnis.
Felix Jaitner: Man kann es so bezeichnen, um unsere Gegnerschaft zu diesem System,
Felix Jaitner: was menschenfeindlich ist und tatsächlich sehr depressiv ist,
Felix Jaitner: klarzumachen, aber es ist ein rhetorisches Mittel, das ist kein analytisches Mittel.
Alexey Yusupov: Ja, ich sehe das ganz ähnlich. Ich finde auch, dieses Mittel der Demobilisierung
Alexey Yusupov: geht ja auch dahin, dass zum Beispiel zu Beginn des Krieges ganz systematisch
Alexey Yusupov: Aufmärsche, Demonstrationen von rechtsnationalen bis hin zu wirklich ultrarechten Kräften,
Alexey Yusupov: die für eine Unterstützung des Krieges in der Ukraine geworben haben,
Alexey Yusupov: dass die verboten worden sind.
Alexey Yusupov: Also ich denke auch, dass dieser Faschismusbegriff wenig dazu beiträgt,
Alexey Yusupov: zu verstehen, was für ein politisches System und auch was für Herrschaftsverhältnisse
Alexey Yusupov: sich in Russland herausgebildet haben.
Alexey Yusupov: Aber du hast ja bereits auch das Alltägliche, das Leben jenseits der großen
Alexey Yusupov: Metropolen in Russland angesprochen.
Alexey Yusupov: Wie entwickelt sich denn das seit dem Krieg?
Alexey Yusupov: Also was gibt es da für Widersprüche und für Alltäglichkeiten,
Alexey Yusupov: die vielleicht einerseits eine Zustimmung zum Regime erklären könnten,
Alexey Yusupov: die aber gleichzeitig auch auf Widerständigkeit und Kritik verweisen könnten?
Felix Jaitner: Das ist sehr schwer pauschal zu beantworten, weil es eben nicht so ist,
Felix Jaitner: man hat die Hauptstädte und dann das andere ländliche Russland,
Felix Jaitner: sondern diese Regionen sind sehr unterschiedlich.
Felix Jaitner: Wenn man irgendwas Gemeinsames versucht zu finden, dann muss man sagen,
Felix Jaitner: die russische Wirtschaft teilt sich immer mehr in zwei,
Felix Jaitner: in eine militärisch-militärische Nahe, die sehr gut läuft aufgrund der hohen
Felix Jaitner: staatlichen Nachfrage, diesem Kriegskensianismus, wo auch Gehälter florieren.
Felix Jaitner: Viele Menschen wechseln ihre zivilen Jobs in diese militärische Nahen,
Felix Jaitner: vor allem in der Produktion, aber auch in der Logistik, gehen gar nicht unbedingt
Felix Jaitner: selbst ins Militär, aber sie gehen eben in diese Betriebe.
Felix Jaitner: Und da die sowjetische Wirtschaft, die ja nicht überwunden worden ist,
Felix Jaitner: strukturell mit ihren Monostädten, also mit vielen Siedlungen,
Felix Jaitner: wo es einen großen Betrieb gibt oder vielleicht ein paar Zulieferer noch,
Felix Jaitner: aber sie bestimmen das wirtschaftliche Leben einer Ortschaft.
Felix Jaitner: Wenn solche Betriebe anfangen, es gut zu laufen, dann stellt man plötzlich fest,
Felix Jaitner: es gibt Orte in Russland, denen es sehr viel besser geht nach 2022. Das stimmt.
Felix Jaitner: Aber bei der zivilen Wirtschaft sieht das anders aus. Sie leiden unter diesem
Felix Jaitner: Arbeitsmarktschwund, denn die Leute gehen weg. Viele haben das Land verlassen.
Felix Jaitner: Die Arbeitsmigration entwickelt sich schwierig.
Felix Jaitner: Es gab Terroranschläge, die dazu geführt haben, dass Russland einen xenophoben
Felix Jaitner: Ton bekommen hat in seiner Anwerbepolitik für zentrale asiatische Arbeitsmigrantinnen.
Felix Jaitner: Der Ton war immer da, aber der hat sich nochmal verschärft. Also da gibt es
Felix Jaitner: dann auch noch die Toten, die Verwunderten, die auch in der Armee sind,
Felix Jaitner: also dem Arbeitsmarkt, fehlen einfach bis zu 8, 9, 10 Prozent.
Felix Jaitner: Und sie fehlen natürlich in der zivilen Wirtschaft. Das bedeutet auch Verarmung,
Felix Jaitner: infrastrukturelle Probleme.
Felix Jaitner: Es gab immer wieder Erntesorgen wegen der Diesel- und Benzinknappheit in den Vorjahren.
Felix Jaitner: Also da gibt es natürlich schon Dinge, wo man merkt, das Leben ist schwerer geworden.
Felix Jaitner: Das zentrale Stabilisierungsinstrument, der zentrale Mechanismus,
Felix Jaitner: warum das nicht zu direkter Unzufriedenheit führt, die den Krieg verknüpfen
Felix Jaitner: würde mit diesem Problem, ist die monetäre Rekrutierung. Der Kreml kann er sich leisten.
Felix Jaitner: Absolut dominanten Teil seines
Felix Jaitner: Personalbedarfs an der Front durch Geld zu decken und nicht durch Zwang.
Felix Jaitner: Natürlich gibt es diese anderen Elemente. Man hat in den Gefängnissen rekrutiert,
Felix Jaitner: es gibt diese nordkoreanischen entsandten Soldaten, es gibt das Söldnertum,
Felix Jaitner: aber das ist alles nicht systemtragend.
Felix Jaitner: Systemtragend ist die Überlegung, jetzt an die Front zu gehen,
Felix Jaitner: ist für einen russischen Mann im mittleren Alter profitabler als alles andere,
Felix Jaitner: was er je in seinem Leben wird machen können.
Felix Jaitner: So viel Geld hat ein russischer Staat, egal ob die Sowjetunion oder das Zarrenreich,
Felix Jaitner: noch nie in die Hand genommen, inklusive Prämien.
Felix Jaitner: Da gibt es wirklich auch eine Gamification, also für jeden Kilometer,
Felix Jaitner: den man vorrückt, gibt es Prämien, für jedes ukrainische Großgerätstück,
Felix Jaitner: was man einnimmt, wird es zerstört.
Felix Jaitner: Also da gibt es Entschädigungen für Verwundungen, für Invalidität und natürlich
Felix Jaitner: auch hinterbliebenen Renten für die Familien.
Felix Jaitner: Und das ist richtig profitabel für die niedriger situierten Einkommensschichten.
Felix Jaitner: Das ist plötzlich a. ein sozialer Aufzug, den es in Russland nicht so richtig gegeben hat. Und b.
Felix Jaitner: Für viele Menschen wird das mit Freiwilligkeit assoziiert. Also in unserem linken
Felix Jaitner: Diskurs in Europa sagen wir manchmal, naja, aber das ist eine russische Peripherie.
Felix Jaitner: Was sollen die Menschen sonst tun?
Felix Jaitner: Das ist unser Blick, aber in der politischen Ontologie in Russland ist es so,
Felix Jaitner: na gut, niemand hat dich gezwungen zu unterschreiben, damit ist die Freiwilligkeit das Kriterium erfüllt.
Felix Jaitner: Und das generiert sehr viel Akzeptanz für den Krieg, trotz wirtschaftlicher Probleme.
Felix Jaitner: Denn das hat was von einer Lotterie. Letztlich hat Russland ein Glücksspiel
Felix Jaitner: etabliert, um seine Rekrutierungsbedarfe zu decken.
Felix Jaitner: Und viele Menschen sagen, ja, ich spiele das mit.
Felix Jaitner: Zurück zur Frage, wie geht es anderen Regionen? Es gibt wirklich Regionen,
Felix Jaitner: die stärker davon geprägt sind, auch in ruraler Gegend, dass Männer von dort weggehen.
Felix Jaitner: Stärker unterschreiben, stärker auch fallen und auch mehr sterben,
Felix Jaitner: dass es auch sichtbar ist.
Felix Jaitner: Wir haben auch Partnerorganisationen, die das händisch nachzählen,
Felix Jaitner: also wirklich die Todesanzeigen in den Zeitungen, sie gehen auf die Friedhöfe und machen Fotos.
Felix Jaitner: Und so kommt man auf diese Zahl von 130.000 Gefallenen. Auf der russischen Seite
Felix Jaitner: sind namentlich nachweisbar. Das bedeutet, wahrscheinlich sind es mehr,
Felix Jaitner: aber das ist wirklich eine sichere Zahl.
Felix Jaitner: Aber eben in einer amorphen, wenig horizontal verbundenen Gesellschaft zerläuft sich der Effekt.
Felix Jaitner: Der Denkfehler, den man im Westen gemacht hat, zu sagen, naja,
Felix Jaitner: die Särge kommen nach Hause und dann gehen die Leute auf die Straße.
Felix Jaitner: Das ist eine sehr westeuropäische oder europäische Vorstellung von Gesellschaftskitt
Felix Jaitner: und öffentlichen Räumen und wie Öffentlichkeit funktioniert.
Felix Jaitner: Deine Frage war ja trotzdem eher wirtschaftlich.
Felix Jaitner: Und da muss ich sagen, ist es schon so, dass das Leben vieler Menschen,
Felix Jaitner: ohne dass sie es wissen, zukünftig sehr viel unklarer geworden ist,
Felix Jaitner: weil Russland eben sein eigentliches Wachstumsmodell aufgegeben hat.
Felix Jaitner: Das Wachstumsmodell war eine komplementäre, nachholende Modernisierung der Westen.
Felix Jaitner: Vor allem Deutschland gibt uns Technologie, Maschinen, Patente,
Felix Jaitner: Investitionen. Wir liefern Rohstoffe zurück und.
Felix Jaitner: Steigen aber auf der industriellen Leiter immer weiter nach oben,
Felix Jaitner: so wie es auch die anderen Länder gemacht haben, die sich modernisiert haben,
Felix Jaitner: ob es jetzt Südkorea war oder die Türkei oder Vietnam.
Felix Jaitner: Und das hat ja Russland jetzt irgendwie aufgegeben, weil es jetzt sich selbst
Felix Jaitner: wiederfindet in einer ökonomischen Umgebung, wo es keine großartige Investitionsbereitschaft
Felix Jaitner: gibt. Auch chinesische Investitionen bleiben aus.
Felix Jaitner: Die Chinesen betreiben viel Handel und sie investieren sehr gezielt dort, wo es denen nützt.
Felix Jaitner: Schifffahrt in der Arktis. Aber es ist jetzt nicht so, als würden aus dem Boden
Felix Jaitner: jetzt wirklich Fabriken sprießen, die mit chinesischem Geld eröffnet worden sind.
Felix Jaitner: Also sie übernehmen die zurückgelassenen westlichen Aktiva, Automobilfabriken,
Felix Jaitner: sowas sehr gerne und sie nutzen die Absatzmärkte.
Felix Jaitner: Aber wenn man in die Zollpolitik Russlands schaut,
Felix Jaitner: findet man dort zum Beispiel Schutzzölle gegen chinesische und selbst belarussische
Felix Jaitner: Lkw-Hersteller wieder, weil der eigene Markt, die Kamas, die sehr berühmten
Felix Jaitner: Trucks, sie sind gerade in Kurzarbeit, drei bis vier Tage die Woche.
Felix Jaitner: Und sie existieren gerade nur, weil die russische Föderation ihre vermeintlichen
Felix Jaitner: besten Verbündeten, Belarus und China, davon abhält, ihre besseren und billigeren
Felix Jaitner: Konkurrenzwaren auf den russischen Markt zu liefern.
Felix Jaitner: Also da gibt es einfach überhaupt keinen Plan für, was ist eigentlich das Wachstum
Felix Jaitner: in Belarusland bis Mitte des Jahrhunderts und darüber hinaus.
Felix Jaitner: Zumal irgendwann auch China wahrscheinlich dekarbonisiert werden wird und damit
Felix Jaitner: diese ganze Konstruktion irgendwie an Zukunftsfähigkeit verliert.
Felix Jaitner: Aber diese Unterhaltung, dafür gibt es keinen Raum, dafür gibt es keinen politischen
Felix Jaitner: Mut und das ist ein Teil dieser nicht stattfindenden Unterhaltung,
Felix Jaitner: die erst nach Wladimir Putin einsetzen wird, denn mit ihm ist sie nicht möglich,
Felix Jaitner: aber das wird auf jeden Fall kommen.
Alexey Yusupov: Aber es ist ja ein sehr düsteres Bild, was du beschreibst. Also ein Land,
Alexey Yusupov: das im Grunde abhängig ist vom Rohstoffexport, in zunehmendem Maße auch von
Alexey Yusupov: der Rüstungsindustrie.
Alexey Yusupov: Beides zwei ökonomische Bereiche mit einer großen Problematik,
Alexey Yusupov: die Karbonisierung und eben auch die Gefahr von weiterer militärischer Eskalation,
Alexey Yusupov: die einfach auf eine hohe Rüstung immer auch folgen.
Alexey Yusupov: Einer relativ amorphen, schwach organisierten Gesellschaft mit einem sich verschärfenden
Alexey Yusupov: politischen repressiven Apparat.
Alexey Yusupov: Jetzt würde ich das kontrastieren mit einer Perspektive vom Gewerkschaftsaktivisten Mikhail Lobanov,
Alexey Yusupov: der sagt, seit der russischen Invasion nimmt er einen Linksruck in der Gesellschaft
Alexey Yusupov: wahr und sagt, Diese sich zuspitzenden Widersprüche, die du schilderst,
Alexey Yusupov: die sich immer weiter verstärkende autoritäre Entwicklung im Land,
Alexey Yusupov: die führt seiner Meinung nach dazu, dass es Forderungen gibt nach sozialen Reformen,
Alexey Yusupov: dass gefordert wird, die Oligarchie endlich effektiv zu besteuern,
Alexey Yusupov: dass man mehr demokratische Teilhabe möchte.
Alexey Yusupov: Und du arbeitest ja sehr eng mit linken oder auch gewerkschaftsnahen russischen
Alexey Yusupov: Gruppen und Bewegungen zusammen.
Alexey Yusupov: Könntest du das nochmal aus deiner Sicht schildern, wie ist da die Lage der...
Alexey Yusupov: Ich würde sagen, progressiven russischen Oppositionen.
Felix Jaitner: Ich schätze Michael Labanov sehr. Also ich gebe mir insofern recht,
Felix Jaitner: als das, was wir sehen an Protesten, und es gibt in Russland Proteste weiterhin,
Felix Jaitner: es kommen vor allen Dingen, jetzt in den letzten Wochen auch übrigens in den
Felix Jaitner: Regionen, also in Krasnoyarski Krai, in der Republik Altai, alle so sibirische
Felix Jaitner: Gebiete, da geht es ganz stark um eine Verwaltungsreform.
Felix Jaitner: Seit Putin an der Macht ist, wird dieser vertikale Machtapparat immer weiter
Felix Jaitner: ausgebaut, Aber er hat immer Halt gemacht vor der untersten,
Felix Jaitner: subsidiärsten Verwaltungsebene bisher.
Felix Jaitner: Und jetzt geht er so ein bisschen ins Eingemachte. Die Anzahl der Wahlämter
Felix Jaitner: wird drastisch reduziert.
Felix Jaitner: Verwaltungsbezirke sollen zusammengelegt werden. Regionale Regierungen sollen
Felix Jaitner: mehr Befugnisse bekommen vis-à-vis weniger verbleibenden Gemeinden.
Felix Jaitner: Und da regt sich richtig Protest mit Straßendemos,
Felix Jaitner: mit Plakataktionen, mit Rücktritten, selbst von Parteiangehörigen von einiges
Felix Jaitner: Russland, die sagen, das lassen wir uns nicht bieten und es verbindet sich manchmal
Felix Jaitner: auch mit dieser querlegenden Agenda,
Felix Jaitner: das sind Regionen, die nicht nur russisch geprägt sind, da gibt es autochtone
Felix Jaitner: Bevölkerung und andere Ethnien, die über die Verwaltungsreform eine Bedrohung
Felix Jaitner: sehen, dass sie ihre örtlichen Interessen artikulieren können,
Felix Jaitner: verteidigen können, Also das ist ein verbundener Thema.
Felix Jaitner: Und wir haben auch Arbeitsproteste. Es gab nach Beginn des Russisch-Ukarenischen
Felix Jaitner: Krieges einen Protest der Essenslieferdienstleister.
Felix Jaitner: Es wird oft gesagt, wie komfortabel Moskau ist zum Leben, aber es basiert auf
Felix Jaitner: einem schier unendlichen Niedriglohnsektor, beziehungsweise das ist auch teilweise
Felix Jaitner: moderne Sklaverei, wenn man sich das wirklich anguckt.
Felix Jaitner: Aber auch da gibt es Proteste. Und diese Proteste, sie schweigen dann immer
Felix Jaitner: zum Krieg und zum Politischen. Denen geht es nie um Putin.
Felix Jaitner: Die wissen, wo die roten Linien sind, aber die sind da. Wir kriegen davon medial
Felix Jaitner: wenig mit, aber die sind da und die sind recht groß.
Felix Jaitner: Anteilig an den geringen Bevölkerungen dieser entlegenen Regionen sind da teilweise
Felix Jaitner: 5, 6, 7 Prozent der Bevölkerung auf der Straße. Das ist riesig.
Felix Jaitner: Also gebe ich Michael Lambana für insofern recht, als dass ich auch sehe,
Felix Jaitner: dass Gerechtigkeitsfragen, also soziale Fragen, Fragen von wie lösen wir hier
Felix Jaitner: unsere örtlichen Anliegen, angefangen von Infrastruktur bis zur Versorgung der
Felix Jaitner: Kitas und der Müllabfuhr, die nehmen zu,
Felix Jaitner: vor allem in Regionen, die nicht zentral sind und nicht hauptstädtisch.
Felix Jaitner: Aber mein Widerspruch zu ihm ist, es ist nicht unbedingt eine linke Agenda per
Felix Jaitner: se, sondern es ist eine Gerechtigkeitsagenda, es ist eine Fairness-Agenda.
Felix Jaitner: Und was man gut sieht an dem politischen Wandel von Alexej Nawalny hin zu seinem Tod,
Felix Jaitner: ist, dass er irgendwann verstanden hat, dass diese Agenda des Protests über
Felix Jaitner: Freiheitsthemen, Die liberale Agenda,
Felix Jaitner: die letztlich immer in Opposition zur Obrigkeit steht, weil sie individuelle
Felix Jaitner: Rechte einfordert und auch recht
Felix Jaitner: fortgeschrittene bürgerliche Dinge wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit,
Felix Jaitner: dass die letztlich in so einem Land wie Russland nicht Massen auf die Straße
Felix Jaitner: bringen kann. Und sie kann in Moskau funktionieren, in St.
Felix Jaitner: Petersburg, in Ektirnburg, vielleicht noch ein paar andere Städte,
Felix Jaitner: in Kontexten, wo es eben so eine bourgeoisie, gebildete, aus der sowjetischen
Felix Jaitner: Intelligenz her stammende, belesene Schicht gibt, die gerne auch in einem freieren Land leben würde.
Felix Jaitner: Aber wenn man den Übergang zu einer landesweiten Bewegung schaffen möchte,
Felix Jaitner: dann ist es die Gerechtigkeitsagenda und nicht die Freiheitsagenda.
Felix Jaitner: Es kann sein, dass sie von rechts bespielt wird, es kann sein,
Felix Jaitner: dass sie von links bespielt wird, das ist unklar für mich.
Felix Jaitner: Also man kann auch eine Gerechtigkeits- und Fairness-Agenda nationalistisch
Felix Jaitner: gestalten und sagen, gut, wir müssen zusammenstehen gegen diese ganzen Kaukasier
Felix Jaitner: und Juden und die ganzen im Ausland studierten Manager in Moskau.
Felix Jaitner: Und dann ist die Frage, wie sich der Kreml dazu natürlich positioniert.
Felix Jaitner: Aber ich will einfach nur sagen, als die Oktoberrevolution sich zum 100.
Felix Jaitner: Mal gejährt hat, nach 2017, hätte man ja annehmen können, dass in dieser Zeit.
Felix Jaitner: Sowjetisch verherrlichenden Ideologie, die Putin teilweise ja an den Tag legt,
Felix Jaitner: dass das das riesige Fest gewesen wäre.
Felix Jaitner: Und jetzt, wo er auch bei Briggs darüber redet, dass Russland den Aufstand der
Felix Jaitner: globalen Mehrheit gegen die Neokolonialisten anführt, müsste man meinen,
Felix Jaitner: die Oktoberrevolution, das ist der emanzipatorische Moment in der eigenen Geschichte.
Felix Jaitner: Das hat ja quasi nicht stattgefunden. Das
Felix Jaitner: wurde völlig nebensächlich ohne Öffentlichkeitsarbeit verstreichen lassen.
Felix Jaitner: Im Gegensatz zu WM und zu Eurovision und zu olympischen Spielen in Sochi,
Felix Jaitner: weil natürlich dort die Widersprüche so offensichtlich werden würden.
Felix Jaitner: Die Oktoberrevolution war ein Befreiungsmoment von der Arbeiterschaft und Bauernschaft
Felix Jaitner: gegen ein System mit einer sehr kleinen Elite, die astronomisch reich war,
Felix Jaitner: gemessen an Durchschnittsbesitzung und Einkommen im Zarenreich.
Felix Jaitner: Und die Widersprüche, wie jetzt die Oktoberrevolution zu feiern,
Felix Jaitner: gleichzeitig in einem System zu existieren, was das nicht nur wiederholt,
Felix Jaitner: sondern eigentlich übersteigt bei allem, was wir über Ungleichheit im Russland
Felix Jaitner: wissen. Das hat das Regime sich gar nicht erst getraut.
Felix Jaitner: Und ich würde sagen, das ist eine weitere Bestätigung dafür,
Felix Jaitner: dass die auch wissen, dass die einzige wirkliche landesweit mobilisierungsfähige
Felix Jaitner: Agenda ist die Gerechtigkeitsagenda.
Felix Jaitner: Und deswegen dieser ganzen Ermittlungen von Nawalny zu, wie ob es zu einem Reich
Felix Jaitner: Person X oder Y ist, wo die wohnen, wo die Paläste sind, was die Kinder machen,
Felix Jaitner: das ist die alte Oligarchie-Bekämpfungsagenda.
Felix Jaitner: Und sie hat funktioniert, als er das noch machen konnte.
Felix Jaitner: Und jemand wird das möglicherweise irgendwann wieder aufnehmen.
Alexey Yusupov: Ich glaube, was ja auch damit deutlich wird, ist zum einen das Scheitern des
Alexey Yusupov: politischen Liberalismus in Russland, auch als Folge der 1990er Jahre und auch
Alexey Yusupov: die Erfahrung der ja wirklich traumatischen Transformationen,
Alexey Yusupov: der Einführung des Kapitalismus in den 90er Jahren und den damit einhergehenden
Alexey Yusupov: Privatisierungswellen.
Alexey Yusupov: Ich würde trotzdem noch mal ganz kurz mit dir versuchen wollen,
Alexey Yusupov: einen Ausblick zu wagen auf die Entwicklung Russlands, aber vielleicht auch
Alexey Yusupov: die deutsch-russischen Beziehungen.
Alexey Yusupov: Als Reaktion auf den Einmarsch in der Ukraine haben alle westlichen Staaten
Alexey Yusupov: ihre Beziehung zu Russland auf ein Minimum reduziert.
Alexey Yusupov: Das Sanktionsregime ist immer weiter ausgeweitet worden.
Alexey Yusupov: Kooperationen auch in Bereichen wie Wissenschaft oder Klimawandel,
Alexey Yusupov: Untersuchungen des Klimawandels sind massiv zurückgefahren worden.
Alexey Yusupov: Man hat ja sogar Direktflüge abgeschafft und auch die Visumsvergabe für russische
Alexey Yusupov: Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wird ja immer restriktiver.
Alexey Yusupov: Ja, sogar für bekannte russische Vertreterinnen der Opposition.
Alexey Yusupov: Und vor diesem Hintergrund beobachten wir ja gleichzeitig ein historisch einmaliges
Alexey Yusupov: Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik, was die Konfrontation
Alexey Yusupov: mit Russland ja vermutlich auf Jahrzehnte festschreiben wird.
Alexey Yusupov: Was würdest du sagen, wie entwickelt sich Russland unter diesen Bedingungen
Alexey Yusupov: in den kommenden Jahren, vielleicht auch sogar in den kommenden Jahrzehnten
Alexey Yusupov: und was bedeutet das für die deutsch-russischen Beziehungen in der Zukunft?
Felix Jaitner: Die deutsch-russische Beziehung ist ja
Felix Jaitner: nicht die einzige der sogenannten Sonderbeziehungen, die im Argen liegt.
Felix Jaitner: Also diese Vorstellung des deutschen Happy Ends nach der Wiedervereinigung,
Felix Jaitner: dass man so bestimmte Länder hat, da sind wir wieder am Anfang unserer Unterhaltung
Felix Jaitner: mit der deutschen Identität, mit dem langen deutschen 20.
Felix Jaitner: Jahrhundert und am Ende steht ein wiedervereinigtes Deutschland,
Felix Jaitner: was mit Frankreich sich ausgesöhnt hat, mit Polen das auch tun wird,
Felix Jaitner: unverbrücklich zu Israel hält.
Felix Jaitner: Die USA als den über allem schwebenden wichtigsten Garanten seiner Zugehörigkeit
Felix Jaitner: zum Westen sieht und Russland als eben ein Gegenpaar, was die deutsche Teilung,
Felix Jaitner: die Kriege, das Verziehen werden, auch verkörpert.
Felix Jaitner: Also wenn die Russen den Deutschen verzeihen können, dann ist es wirklich ein
Felix Jaitner: anderes Land, so ein bisschen.
Felix Jaitner: Alle diese Beziehungen sind jetzt ganz anders, als man sich das hätte vorstellen können.
Felix Jaitner: Das ist, glaube ich, nicht nur ein deutsch-russisches Phänomen.
Felix Jaitner: Das andere hier, wo wir von einem linken Menschen zu einem linken Menschen sprechen,
Felix Jaitner: ist natürlich die materielle Grundlage der deutsch-sowjetischen und deutsch-russischen
Felix Jaitner: Beziehungen, war der Energiehandel.
Felix Jaitner: Alles andere war deswegen nicht aufrichtig oder so.
Felix Jaitner: Aber es hat schon sich wie ein Überbau auf etwas aufgestellt,
Felix Jaitner: was ein hartes Handelsgeschäft war.
Felix Jaitner: Gas gegen Röhren und letztlich dann Aufbau dieser Idee, dieser Modernisierungspartnerschaft.
Felix Jaitner: Energie fließt in die eine Richtung, Technologie fließt in die andere Richtung. Und das ist ja weg.
Felix Jaitner: Also es ist ja nicht irgendwie die Rhetorik weg oder es ist ja nicht eine politische
Felix Jaitner: Schicht weg, die das geglaubt hat, sondern die materielle Grundlage dieser Sonderbeziehung
Felix Jaitner: ist physisch zerstört und politisch nicht mehr wiederherstellbar.
Felix Jaitner: Und damit, was auch immer kommt in der deutsch-russischen Beziehung,
Felix Jaitner: wird nicht mehr auf so eine harte monetäre Interessenskonvergenz aufbauen können.
Felix Jaitner: Und das muss man einfach zur Kenntnis nehmen, bevor man hier eine romantische
Felix Jaitner: Vorstellung verfällt, dass man einen in den Status quo ante wieder hinfindet.
Felix Jaitner: Trotzdem ist es so, dass ich nicht glaube oder mir noch nicht vorstellen kann,
Felix Jaitner: dass das jetzt ein Zustand ist, den wir einfach vorzeichnen können und die nächsten
Felix Jaitner: Jahre und Jahrzehnte genauso auf so einem niedergehenden Pfad der jeweiligen
Felix Jaitner: Feindseligkeiten und Abbau von Beziehungen verbleiben wird.
Felix Jaitner: Also zum einen ist es wirklich sehr viel abgebaut, aber eben noch nicht alles.
Felix Jaitner: Beide Seiten, finde ich, vergessen nicht, etwas wieder aufzubauen.
Felix Jaitner: Ist ungleich schwieriger, es etwas kaputt zu machen.
Felix Jaitner: Aber solange der russisch-ukrainische Krieg andauert und solange wir die Unterstützung
Felix Jaitner: der Ukraine als unsere oberste politische Priorität ansehen,
Felix Jaitner: sind wir auf diesem Pfad.
Felix Jaitner: Auch in den russischen Umfragen, da gibt es ja diese Umfrage über die Feindseligkeit
Felix Jaitner: von Drittländern und Deutschland avancierte ja zwischenzeitlich auf Platz 1
Felix Jaitner: vor den USA, vor allem nach dem Wahlsieg von Donald Trump, wo man natürlich
Felix Jaitner: sagt, okay, Moment, wie kann das sein?
Felix Jaitner: Es war über lange Zeit, war Deutschland unter den westlichen Ländern,
Felix Jaitner: das heißt das loyalste Land,
Felix Jaitner: das freundschaftlich gesinnteste Land, aber auch eins mit vielen menschlichen
Felix Jaitner: Beziehungen zwischen Russland und anderen sowjetischen Ländern und der Bundesrepublik
Felix Jaitner: bezeichnet wurde. Sowas geht schnell.
Felix Jaitner: Das geht schnell in die eine Richtung und das geht schnell auch wieder in die
Felix Jaitner: andere Richtung. Umfragen sind dafür kein gutes Instrument.
Felix Jaitner: Was aber auch gesagt werden muss, es ist eben nicht schlecht,
Felix Jaitner: sich klar in die Augen zu schauen, indem anzuerkennen, dass man eine romantische
Felix Jaitner: Vorstellung voneinander hatte.
Felix Jaitner: Auch die russische Seite dachte, die Bundesrepublik wird jetzt vielleicht nicht
Felix Jaitner: wie Ungarn, aber schon auch im ähnlichen Maße zumindest ein Bremser sein können
Felix Jaitner: bei der Errichtung einer europäischen oder transatlantischen Unterstützungskoalition.
Felix Jaitner: Das ist einfach nicht eingetreten, auch weil in Russland ein verklärtes oder
Felix Jaitner: verzerrtes Bild von modernem Deutschland herrscht.
Felix Jaitner: Da gibt es auch viele Mythen im Umlauf und viele Eigenvorstellungen,
Felix Jaitner: das ist ganz symmetrisch.
Felix Jaitner: Und ich finde das nicht schlecht, dass man einmal...
Felix Jaitner: Zumindest eine Chance haben könnte auf einen Neuanfang ohne die Romantik des 20.
Felix Jaitner: Jahrhunderts, einfach weil wir darauf nichts bauen können, sondern wir müssen gucken,
Felix Jaitner: dass wir Interessen definieren, das macht die russische Seite schon länger und
Felix Jaitner: wir beginnen jetzt damit und dass wir dann ausgehend von diesen Interessen und
Felix Jaitner: das Interesse muss beinhalten, dass wir keine Konfrontations- und Eskalationsspirale
Felix Jaitner: auf dem Kontinent bekommen,
Felix Jaitner: dass wir ausgehend von diesen Interessen neue Regeln finden.
Felix Jaitner: Mit Rüstungskontrollen, mit vertrauensbildenden Maßnahmen, mit De-Conflicting,
Felix Jaitner: mit zu militärischen Kontakten, die wir gerade auf der amerikanischen Seite
Felix Jaitner: haben, auf der europäischen, so wie ich das sehe, nicht.
Felix Jaitner: Also das ist ein riesiger, riesiger Berg von Aufgaben für die nächsten Jahre.
Felix Jaitner: Aber ich hoffe, dass das nicht völlig unrealistisch ist, was ich gerade hier bestand.
Alexey Yusupov: Alexey, ich bedanke mich sehr herzlich bei dir für dieses sehr interessante Gespräch.
Felix Jaitner: Vielen Dank für die Einladung. Hat mir auch Spaß gemacht.
Felix Jaitner: Going up in flames And nobody Want to take the blame.
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